Die Agrar- und Ernährungswirtschaft gehört zu den exportstärksten Branchen Deutschlands – und zu den verletzlichsten. Lieferkettenkrisen, Zölle, geopolitische Konflikte: Kaum ein Sektor spürt globale Spannungen so unmittelbar. Umso wichtiger war das Signal, das vom 11. Außenwirtschaftstag der Branche ausging: Wirtschaft und Politik wollen in Zeiten wachsender Unsicherheit enger zusammenarbeiten.
Rund 400 Gäste aus Wirtschaft, Politik und Außenwirtschaftsförderung kamen am 3. Juni 2025 im Berliner Auswärtigen Amt zusammen. Eingeladen hatten die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE), das Bundesministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat sowie das Auswärtige Amt. Ziel war der Austausch zu neuen Märkten, politischen Rahmenbedingungen und strategischer Standortpolitik – in einem zunehmend fragmentierten Welthandelssystem.
Außenminister Wadepfuhl: „Brücken bauen statt Zollmauern“
Bundesaußenminister Johann Wadepfuhl, erst wenige Wochen im Amt, schlug in seiner Eröffnungsrede einen strategischen Ton an: „Kein Land auf der Erde profitiert so sehr von offenen Märkten wie Deutschland. Deshalb bleibe ich ein Anwalt einer freien Handelspolitik, die Deutschland zu den Weltmärkten hin öffnet“.
Mit Blick auf den schwelenden Zollkonflikt mit den USA appellierte Wadepfuhl an Dialogbereitschaft: „Der Zollstreit mit den USA darf nicht weiter eskalieren. Wir setzen auf Verständigung – im Sinne unserer Unternehmen“. Gleichzeitig warb er für einen Schulterschluss mit Ländern wie Brasilien, Mexiko und Indonesien: „Jedes einzelne Abkommen bietet uns die Chance, das Regelwerk des Welthandels mitzugestalten.“











Von Boetticher: „Bürokratie ist der unsinnigste Kostenfaktor“
Deutlich wurde auch Christian von Boetticher, Vorstandsvorsitzender der BVE: „Die deutsche Ernährungswirtschaft ist nicht nur leistungsfähig – sie ist systemrelevant. Wir versorgen Menschen, schaffen Arbeitsplätze, exportieren weltweit. Dafür brauchen wir verlässliche Rahmenbedingungen.“ Boetticher lobte die Signale der neuen Bundesregierung, zeigte jedoch auch auf, wie gefordert die deutsche Ernährungswirtschaft in Zeiten von Ukraine-Krieg, Protektionismus und Energiepreisen ist. Besonders hart ging er mit der deutschen Bürokratie ins Gericht: „Bürokratiekosten sind die unsinnigsten Kosten in diesem System – das kann eine Regierung ändern“. Er forderte mehr Gestaltungsfreiheit für Unternehmen und mahnt: „Wenn wir unsere starke Exportkarte ausspielen wollen, müssen wir Handelshemmnisse abbauen. TTIP ist gescheitert – Chlorhühnchen-Debatten können wir uns künftig nicht mehr leisten“.
Rainer: „Weniger Vorschriften, mehr Beinfreiheit“
Alois Rainer, Bundesminister für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat, machte deutlich, dass die neue Bundesregierung entschlossen ist, neue Wege zu gehen. „Wir wollen wieder mehr Vertrauen wagen – in Unternehmen, Betriebe, Menschen“, sagte der CSU-Politiker. Rainer kündigte an, die Bürokratie in seinem Ressort systematisch zu hinterfragen und abbauen zu wollen. „Denn wer Innovationen blockiert, hat den Sinn von Regeln verfehlt.“ Zugleich betonte der Minister die wirtschaftliche Bedeutung der Branche: Mit über vier Millionen Beschäftigten und einem Exportanteil von rund 33 Prozent sei die deutsche Agrar- und Ernährungswirtschaft „einer der leistungsfähigsten Wirtschaftszweige unseres Landes“. Und das gelte nicht nur für Großkonzerne: „Von kleinen Familienbetrieben bis zu den Global Playern – wir stehen hinter Ihnen. Auch bei Gegenwind.“ Konkret kündigte er eine moderne Agrarexportstrategie an und versprach mehr Handlungsspielräume für die Betriebe.
Der leise Optimist: Professor Felbermayr sieht Chancen in der Krise
Der Ökonom Gabriel Felbermayr, Direktor des WIFO in Wien, analysierte in seiner Keynote die globale Handelssituation – und plädierte für strategisches Handeln statt Klagen. „Volatilität ist das neue Normal“, sagte Felbermayr, „aber sie lässt sich managen – wenn Politik und Unternehmen gemeinsam vorausdenken“.
Mit Blick auf die USA, China und Indien forderte er mehr außenwirtschaftliche Resilienz Europas und betonte, dass Freihandelsabkommen wie Mercosur nicht nur wirtschaftlich, sondern auch geopolitisch bedeutsam seien: „Sie schaffen Rechtsklarheit und Verlässlichkeit – in Zeiten, in denen beides Mangelware ist.“
Und dann: Fachlicher Austausch in Themen- und Länderforen
Nach den Eröffnungsreden ging es zurück zum eigentlichen Kern der Veranstaltung: dem Austausch. In sechs parallelen Länder- und Themenforen diskutierten Expertinnen und Experten etwa über Halal-Standards, Biozertifizierungen, E-Commerce im B2B-Geschäft und konkrete Marktchancen in Südkorea, Rumänien und dem Mercosur-Raum.
Olivier Kölsch, Geschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie resümiert: „Das große Interesse war überwältigend – und das nicht nur wegen der prominenten Beteiligung. Was mich wirklich gefreut hat, war der offene Austausch: Experten, Politik, Agrarattachés und Lebensmittelproduzenten kamen ins Gespräch und steckten gemeinsam Ziele ab. Dass alles so reibungslos geklappt hat, dafür danke ich dem BMLEH, dem Auswärtigen Amt, den engagierten Referenten und den beteiligten Mitarbeitern der BVE.“
Fazit: Ein starkes Signal der Zusammenarbeit
Die Veranstaltung hat gezeigt: Die deutsche Ernährungswirtschaft ist global vernetzt – aber auch global verwundbar. Sie braucht politische Rückendeckung, strategische Allianzen und mehr Agilität. Der Wille zur Zusammenarbeit war an diesem Tag deutlich zu spüren. Oder wie BVE-Vorstand Christian von Boetticher es auf den Punkt brachte: „Ein enger Austausch zwischen allen Beteiligten ist die Grundvoraussetzung dafür, dass man ein gemeinsames Verständnis entwickelt.“