Herr Koppitz, welche Rolle spielt die Aromenindustrie in der heutigen Lebensmittelproduktion – und wie hat sich diese Rolle in den letzten Jahren verändert?
Tobias Koppitz: Aromen sind das, was Lebensmitteln Charakter verleiht. Sie machen Joghurt fruchtig, Chips rauchig, Käsealternativen vollmundig. Wir sorgen dafür, dass Produkte verlässlich gut schmecken – unabhängig von Erntezeiten, Transport- oder Lagerbedingungen. Gleichzeitig eröffnen Aromen neue Möglichkeiten: Sie machen pflanzliche Alternativen genussvoll, ermöglichen zucker- oder salzreduzierte Rezepturen und schaffen Raum für Innovation. Unsere Branche investiert rund zehn Prozent ihres Umsatzes in Forschung und Entwicklung, etwa in neue Geschmackserlebnisse und verbesserte Verfahren. In den letzten Jahren hat sich unsere Rolle weiterentwickelt. Wir gestalten Ernährungstrends mit und treten mit mehr Selbstbewusstsein auf. Denn auf das, was wir leisten, können wir stolz sein.
Aroma ist nicht gleich Aroma: Was bedeuten die unterschiedlichen Deklarationen auf Lebensmittelverpackungen?
Tobias Koppitz: Die Deklaration auf Lebensmitteln soll zeigen, woher ein Aroma stammt. „Aroma“ ist dabei der allgemeinste Begriff, unter dem im Grunde alles läuft, was Geschmack bringt – egal ob natürlich oder synthetisch hergestellt. Steht „natürliches Vanillearoma“ auf der Packung, dann weiß man: Das Aroma stammt wirklich aus der Vanilleschote. Steht dort nur “natürliches Aroma” stammt es zwar aus natürlichen Quellen, aber nicht zwingend aus der namensgebenden Pflanze. Es muss nur danach schmecken. Die Vorschriften sind in der europäischen Aromenverordnung klar geregelt, aber ob sie im Alltag immer verständlich sind, das ist eine andere Frage.
Welchen Beitrag kann die Aromenindustrie zur Nationalen Reduktionsstrategie leisten?
Tobias Koppitz: Einen ganz wesentlichen. Aromen können helfen, den Geschmack trotz weniger Zucker, Salz oder Fett zu erhalten. Das sorgt dafür, dass Produkte attraktiv bleiben, auch wenn bestimmte Inhaltsstoffe reduziert wurden. Unsere Aufgabe ist es, den Genuss zu bewahren, ohne dass der Unterschied auffällt.
Kritiker argumentieren, dass Aromen häufig dazu dienen, „ungesunde Produkte attraktiver“ zu machen. Was entgegnen Sie auf diesen Vorwurf?
Tobias Koppitz: Ich halte das für ein Vorurteil. Aromen dienen nicht der Täuschung, sondern dem Geschmack. Und der darf vor allem Freude machen. Viele Aromen stammen aus natürlichen Quellen und werten Produkte gezielt auf. Sie tragen dazu bei, Vielfalt und Genuss zu ermöglichen. Und gerade wenn Zucker, Salz oder Fett reduziert werden, helfen Aromen, den Geschmack zu erhalten. Das ist ein echter Mehrwert.
Welche Vorteile bietet die Fermentation bei der Aromenherstellung – und wie unterstützt sie die Reduktionsstrategie?
Tobias Koppitz: Fermentation hat eine lange Tradition, denken Sie an die Herstellung von Sauerkraut oder Bier. In der Aromenherstellung kommt heute aber zunehmend die sogenannte Präzisionsfermentation zum Einsatz. Dabei nutzen wir Mikroorganismen, um gezielt bestimmte Geschmacksstoffe oder funktionelle Inhaltsstoffe herzustellen, zum Beispiel für vegane Käsealternativen. Gerade im Bereich Käse ist das ein großer Fortschritt, denn hier sind Geschmack, Schmelzverhalten und Mundgefühl besonders schwer nachzuahmen. Solche Innovationen können die Reduktionsstrategie unterstützen, etwa durch Produkte mit weniger Fett oder tierischen Bestandteilen. Allerdings sehen wir in Europa aktuell noch hohe regulatorische Hürden, etwa durch die Novel-Food-Verordnung. Viele Start-ups, die hier spannende Produkte entwickeln, weichen auf andere Märkte aus. Das ist schade, denn wenn wir in Europa Vorreiter für innovative Lebensmittel sein wollen, müssen wir auch die Rahmenbedingungen für solche Technologien verbessern.
Es gibt Aromen, die eine süße oder salzige Wahrnehmung verstärken, ohne selbst Zucker oder Salz zu enthalten. Wie funktionieren diese sogenannten Modulatoren?
Tobias Koppitz: Diese Modulatoren nennen wir „Flavourings with Modifying Properties“ (FMPs). Das sind spezielle Aromen, die gezielt einzelne Geschmackseindrücke verstärken oder abschwächen ohne selbst zum Geschmacksträger zu werden. Sie wirken sensorisch und können dabei zum Beispiel den Fruchtcharakter betonen und gleichzeitig unerwünschte Noten überdecken. Rechtlich gelten sie wie normale Aromen, nicht als Zusatzstoffe oder Süßstoffe. Ein Beispiel ist der Aromastoff Neohesperidin Dihydrochalcon (NHDC). Es kann Fruchtigkeit verstärken und gleichzeitig Bitterkeit dämpfen. Dadurch können Zucker oder Süßstoffe reduziert werden, ohne dass der Geschmack leidet.
Ein spannender Ansatz sind auch sogenannte ‚Time Release‘-Aromen. Wie funktioniert diese Technologie?
Tobias Koppitz: Time-Release-Aromen sind Aromen, die erst zeitverzögert freigesetzt werden, zum Beispiel beim Kauen oder durch Wärme. Durch die Verkapselung bleiben sie länger stabil und entfalten ihren Geschmack erst zu einem bestimmten Moment. Ein klassisches Beispiel ist Kaugummi: Erst kommt der Frischekick, dann eine zweite Geschmackswelle. So lassen sich überraschende und länger anhaltende Geschmackserlebnisse schaffen. Gleichzeitig verbessert die Verkapselung auch die Haltbarkeit und Lagerfähigkeit der Aromen.
Gibt es aktuelle Trendaromen?
Tobias Koppitz: Wir beobachten weniger einen Hype um einzelne Aromen als vielmehr einen übergeordneten Trend. Verbraucher achten stärker auf Gesundheit, Nachhaltigkeit und Funktionalität, etwa bei Sportgetränken oder pflanzlichen Alternativen. Die Aromenindustrie reagiert darauf mit passenden Geschmacksprofilen. Natürlich gibt es auch saisonale oder experimentelle Aromen, wie zum Beispiel Yuzu oder Espresso-Dirty-Martini. Viele davon sind kurzlebig, aber einige etablieren sich dauerhaft, wie Yuzu zum Beispiel.
Wie trägt die Aromenindustrie zur Akzeptanz pflanzlicher Alternativen bei – etwa bei Fleisch, Fisch und Käse?
Tobias Koppitz: Aromen spielen eine zentrale Rolle, wenn es darum geht, pflanzliche Produkte geschmacklich attraktiv zu machen. Besonders bei Fleischalternativen hat sich in den letzten Jahren viel getan, sowohl in der Entwicklung als auch in der Akzeptanz. Unternehmen wie die Rügenwalder Mühle haben mittlerweile ein großes Portfolio im Bereich vegetarischer und veganer Produkte und zeigen, wie erfolgreich dieser Wandel sein kann. Aromen helfen dabei, vertraute Geschmackserlebnisse nachzubilden – etwa die Saftigkeit eines Burgers oder milde Meeresnoten bei Fischersatz. Auch der oft bittere Eigengeschmack von Erbsenprotein lässt sich damit ausbalancieren. Und natürlich ist beim Thema Käseersatz viel Bewegung. Start-ups wie Formo arbeiten mit Pilzfermentation und bringen bereits erste Produkte in den Handel. Die größte Herausforderung in diesem Bereich liegt generell oft in der Sensorik.
Viele Verbraucher halten natürliche Aromen automatisch für nachhaltiger als synthetisch erzeugte. Warum ist das ein Trugschluss?
Tobias Koppitz: Das höre ich tatsächlich öfter. Klar, „natürlich“ klingt erstmal gut, aber nachhaltig ist das nicht unbedingt. Chemisch gesehen sind natürliche und synthetische Aromen oft identisch. Der Unterschied liegt darin, woher sie kommen. Nehmen wir Mango-Aroma. Wenn es wirklich aus Mangos stammt, brauchen wir dafür die Frucht. Die wächst aber nicht bei uns. Das heißt: große Anbauflächen, Transport über lange Strecken, höherer Aufwand. Wenn im Winter viele Verbraucher Mangojoghurt wollen, hat das eben seinen Preis – ökologisch wie wirtschaftlich. Ein Aroma, das den gleichen Geschmack liefert, kann auch synthetisch oder biotechnologisch hergestellt werden, ohne dass eine einzige Mango geerntet werden muss. Und das ist oft die nachhaltigere Lösung.
Wie begegnet die Branche den Anforderungen des deutschen und europäischen Lieferkettengesetzes?
Tobias Koppitz: Das Thema ist für viele Unternehmen, vor allem für die KMU, eine große Herausforderung. Die größeren Player haben dafür eigene Stellen geschaffen, teilweise mehrere Vollzeitstellen, um die umfangreichen Dokumentationspflichten zu erfüllen. Als Verband haben wir die Politik früh darauf hingewiesen, dass ein abgestimmter europäischer Ansatz sinnvoller wäre als ein nationaler Alleingang. Unsere Mitglieder wurden entsprechend informiert und begleitet. Gleichzeitig bestehen längst enge, oft langjährige Beziehungen zu Produzenten weltweit – gerade bei Rohstoffen, die nur in bestimmten Regionen wachsen. Dabei stehen Menschenrechte, faire Arbeitsbedingungen und Nachhaltigkeit im Fokus. Viele Unternehmen engagieren sich außerdem in der Sustainability Charter unserer internationalen Verbände. Da geht es ganz konkret um Umweltziele, faire Arbeitsbedingungen und Verantwortung in der Lieferkette.
Wie geht die Branche mit Forderungen nach mehr Transparenz und Herkunftsnachweisen um?
Tobias Koppitz: Grundsätzlich sind wir offen und transparent. Nur wenn es zum Beispiel um Rezepturen geht, stoßen wir an Grenzen. Aromen sind oft komplexe Mischungen mit Dutzenden Komponenten. Ihre genaue Zusammensetzung zählt zum Geschäftsgeheimnis. Wir investieren viel in Forschung und Entwicklung. Diese Arbeit sollte auch abgesichert sein. Deshalb sehen wir manche Transparenzforderungen kritisch, etwa in der aktuellen Diskussion zur Konfitürenverordnung. Da geht es darum, die Herkunft jeder Zutat auszuweisen. Bei globalen Lieferketten und komplexen Rezepturen führt das schnell zu einer Überinformation, die am Ende niemandem nützt.
Man weiß ja, dass die Rezeptur von Coca-Cola streng geheim ist. Was entgegnen Sie Verbraucherschützern, die verlangen, dass alle Aromabestandteile und ihre Herkunft offengelegt werden?
Tobias Koppitz: Aromen bestehen aus zugelassenen, sicherheitsbewerteten Substanzen und werden gemäß der europäischen Aromenverordnung korrekt deklariert. Damit ist der Verbraucher ausreichend informiert und geschützt. Eine vollständige Offenlegung jeder einzelnen Komponente inklusive Herkunft wäre nicht nur extrem aufwendig, sondern für die meisten Konsumenten weder verständlich noch wirklich relevant. Das würde meiner Meinung nach mehr verwirren als nützen. Und ganz salopp gesagt, passt es auch gar nicht aufs Etikett.
Wie gehen ihre Mitglieder damit um, dass bestimmte Aromen plötzlich verboten werden, wie zuletzt Raucharoma? Ist die Politik in Berlin und Brüssel beim Thema Aromen besonders restriktiv?
Tobias Koppitz: Der Fall der Raucharomen war für viele in der Branche frustrierend. Es ging nicht um ein Verbot, sondern darum, dass bestehende Zulassungen nach zehn Jahren nicht verlängert wurden, weil die EU plötzlich strengere Nachweise verlangt hat. Für die Unternehmen kam das überraschend. Neue Anträge wären extrem aufwendig und teuer. Viele Firmen haben bereits Alternativen entwickelt, besonders in der Snackindustrie, wo das Thema heiß diskutiert wurde. Trotzdem bleibt die Frage: Ist es wirklich im Sinne des Verbraucherschutzes, wenn am Ende eher wieder traditionell geräuchert wird – mit mehr Schadstoffen? Die Branche ist da flexibel, aber die Regulierungen wirken manchmal wenig durchdacht. Und das Vertrauen in verlässliche Rahmenbedingungen leidet.
Welche politischen Rahmenbedingungen wären aus Ihrer Sicht notwendig, damit die Aromenindustrie auch künftig verantwortungsvoll und innovativ wachsen kann?
Tobias Koppitz: Wir haben in Europa die höchsten Lebensmittelstandards weltweit. Da sind wir sehr verantwortungsbewusst, sowohl der Gesetzgeber als auch die Industrie. Viele Länder schauen auf unsere Regulierung und lassen sich inspirieren, wir haben da eine Art Leuchtturmfunktion. Aber wir sehen auch: Es kommt immer mehr obendrauf. Das macht es für die Unternehmen zunehmend schwer, wettbewerbsfähig zu bleiben. Innovation braucht Verlässlichkeit. Wenn wir zum Beispiel neue Verfahren entwickeln, aber die Zulassung dann an überzogenen Anforderungen scheitert, geht das Know-how ins Ausland. Das ist keine gute Standortpolitik. Was wir brauchen, ist mehr Augenmaß und ein klarer Fokus auf Wettbewerbsfähigkeit. Da bin ich, bei allem, was gerade in Brüssel passiert, optimistisch. Sorge macht uns, dass auf EU-Ebene der Begriff Risiko immer häufiger mit Gefahr gleichgesetzt wird. Das klingt ähnlich, macht aber einen riesigen Unterschied. Wir brauchen Regulierung, die auf tatsächliche Risiken schaut, um nicht übers Ziel hinauszuschießen. Nur so bleibt Europa ein attraktiver Industriestandort.
Welche Rolle wird die Aromenindustrie im Jahr 2035 spielen, wenn es um die Ernährung der Zukunft geht?
Tobias Koppitz: Die Aromenindustrie wird auch 2035 unverzichtbar sein. Sie spielt eine zentrale Rolle, wenn es um Genuss, Vielfalt und moderne Ernährung geht. Wir sorgen dafür, dass bewusste Ernährung nicht nach Verzicht schmeckt. In der Pandemie hat man gesehen, wie essenziell unser Beitrag ist: Trotz aller Engpässe haben wir dafür gesorgt, dass Produkte gleichbleibend gut schmecken. Deutschland ist seit jeher ein Innovationsstandort der Branche. Vor 150 Jahren wurde hier erstmals Vanillin synthetisiert. Heute sind wir führend in Forschung, Entwicklung und Sicherheit. Damit das so bleibt, investieren wir auch in Ausbildung und Nachwuchs, etwa mit dem Flavour-Technologist-Programm, das wir gemeinsam mit der BHT ins Leben gerufen haben. Auch 2035 wird es unsere Aufgabe sein, Ernährung genussvoll, sicher und verantwortungsvoll mitzugestalten – für alle Lebensstile und Ernährungsformen.