Ravioli-Reserve für den Ernstfall: Die BVE fordert klare Regeln

Deutschland will seine Ernährungsvorsorge modernisieren. Bundesernährungsminister Alois Rainer (CSU) plant, neben Getreide und Hülsenfrüchten künftig auch Fertiggerichte einzulagern, um die Bevölkerung im Krisenfall schneller versorgen zu können. Dafür veranschlagt er bis zu 90 Millionen Euro jährlich zusätzlich. Die Ernährungswirtschaft soll einbezogen werden und steht als Partner bereit, fordert jedoch eine klare Trennung zur täglichen Versorgung. Unterstützung kommt von der SPD. Ein Blick nach Europa zeigt allerdings: Andere Länder wie Finnland sind mit Pflichtlagern deutlich weiter.

Ravioli aus der Konservendose auf einem Teller serviertQuelle: Bernd Jürgens / Adobe Stock

Bislang setzt die Zivile Notfallreserve auf Grundnahrungsmittel wie Getreide, Reis, Hülsenfrüchte und Milchpulver. Die Bestände sind nicht dafür gedacht, die Bevölkerung dauerhaft zu ernähren. Sie sollen vielmehr kurzfristige Versorgungsengpässe abfedern, etwa bei militärischen Konflikten, Naturkatastrophen, Epidemien oder anderen größeren Störungen der Infrastruktur. Das Problem: All diese Produkte müssen erst zubereitet werden. Und genau hier liegt eine Schwachstelle, gerade wenn im Krisenfall Energieversorgung und Infrastruktur unter Druck geraten.

„Ich will das ausbauen zu einer nationalen Reserve mit schon fertigen Produkten, die man gleich verzehren kann“, sagt der Ernährung- und Landwirtschaftsminister Alois Rainer in einem POLITICO-Podcast. „Da spricht man vielleicht dann über Dosenravioli oder Dosenlinsen oder andere Dinge. Auf alle Fälle schon fertig gegarte Sachen. Das, was wir jetzt gelagert haben, muss ja erst zubereitet werden.“

Der Minister rechnet mit jährlichen Mehrkosten von 80 bis 90 Millionen Euro, zusätzlich zu den derzeitigen 30 Millionen Euro für die Lagerhaltung. Organisiert wird die Reserve über die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE), die bundesweit mehr als 150 geheime Standorte betreibt.

Lebensmittelindustrie soll eingebunden werden

Die Lebensmittelwirtschaft soll beim Aufbau der neuen Strukturen stärker einbezogen werden. Nach den Vorstellungen des Ministers sollen bestehende Lager- und Logistiksysteme genutzt werden, um die Reserve effizient und dezentral zu organisieren.

Christoph Minhoff, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE), signalisiert dafür Offenheit, betont aber klare Grenzen: „Unsere Unternehmen verfügen über hocheffiziente Logistik- und Lagersysteme, die täglich rund 84 Millionen Menschen versorgen. Freie Kapazitäten gibt es nicht.“

Die Ernährungswirtschaft könne als Partner vor allem Know-how einbringen, „aber die Reserve darf nicht zulasten der Versorgung im Alltag gehen. Eine staatliche Notfallreserve müsste klar von der privatwirtschaftlich organisierten Versorgung getrennt werden“, betont Minhoff.

Er verweist zugleich auf die Finanzierungsfrage: „Die Ernährungssicherheit ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Zusätzliche Strukturen sind zweifellos notwendig, aber die Finanzierung liegt in erster Linie beim Staat.“

Unterstützung aus der Politik

Unterstützung erhält Rainer aus den Reihen der Koalition. „Es ist gut, dass über das Thema jetzt diskutiert wird“, sagte die agrarpolitische Sprecherin der SPD, Franziska Kersten, gegenüber der Märkischen Oderzeitung. Staatliche Empfehlungen für private Vorräte wie Wasser, Nudeln, Kartoffeln, Brot und Konserven würden bislang von vielen Menschen ignoriert. „Das ist ein Zeitenwende-Thema – und wir müssen schauen, wie das im Haushalt abbildbar ist“, so Kersten.

Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) empfiehlt jedem Haushalt, sich für mindestens zehn Tage mit Lebensmitteln und Trinkwasser versorgen zu können. Was das genau beinhaltet, erfahren Sie hier.

Vergleich mit europäischen Nachbarn

Ein Blick nach Europa zeigt, dass die deutsche Vorsorge im soliden Mittelfeld liegt, aber hinter einigen Ländern zurückbleibt.

Finnland gilt als Vorreiter. Dort reichen die staatlichen Getreidevorräte für sechs bis neun Monate, zudem sind auch Pflichtlager für Medikamente und Treibstoffe vorgeschrieben. Norwegen baut nach längerer Pause seine Reserven wieder auf. Bis 2029 sollen rund 82.500 Tonnen Getreide eingelagert sein, genug für etwa drei Monate Versorgung.

Schweden verzichtet auf zentrale Lager und setzt stattdessen auf die Eigenvorsorge der Bürger, die über Kampagnen und Broschüren zu Vorräten für mindestens eine Woche angehalten werden. Einen ganz anderen Weg geht die Schweiz, wo Unternehmen aus den Bereichen Getreide, Reis, Zucker, Speiseöle, Kaffee und Futtermittel gesetzlich verpflichtet sind, Grundnahrungsmittel für mehrere Monate einzulagern.

Andere Länder wie Frankreich, Spanien oder Österreich setzen stärker auf Nachhaltigkeit und private Vorsorge, während Polen nach OECD-Angaben eigene Reserven vorhält, deren Umfang jedoch nicht öffentlich bekannt ist.

Zeitenwende bei der Ernährungssicherheit

Die Diskussion über eine „Ravioli-Reserve“ mag auf den ersten Blick kurios wirken, tatsächlich markiert sie aber einen Paradigmenwechsel. Jahrzehntelang konnte sich Deutschland darauf verlassen, dass Supermarktregale immer gefüllt sind. Globale Krisen, Lieferkettenprobleme und geopolitische Spannungen haben diese Gewissheit erschüttert. Damit rücken Fragen ins Zentrum, die lange unterschätzt wurde: Wie viel Vorsorge braucht ein Industriestaat in Zeiten multipler globaler Konflikte? Und wie lässt sich diese finanzieren, ohne die Effizienz der täglichen Versorgung zu schwächen?