Der neue Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft Alois Rainer (CSU) hat gegenüber der Bild-Zeitung gesagt: „Fleischpreise macht nicht der Minister, sondern der Markt.“ Diese Aussage wurde teilweise kritisch aufgenommen, mitsamt Vorwurf, dem Minister sei Tierwohl nicht wichtig. Sind Markt und Tierwohl ein Widerspruch?
Dr. Alexander Hinrichs: Markt und Tierwohl sind kein grundsätzlicher Widerspruch, aber sie erfordern ein ausgewogenes Vorgehen. Fleisch kann nicht gleichzeitig billiger und das Tierwohl besser werden. Denn Tierwohl erfordert Maßnahmen, die Geld und Zeit kosten. Wer mehr Tierwohl in die Breite bringen will, muss pragmatisch und schrittweise vorgehen. Das ist unsere Erfahrung aus zehn Jahren Initiative Tierwohl.
Was wären Ihrer Meinung nach geeignete Schritte, um mehr Tierwohl in der Breite umsetzen und den Landwirten zugleich eine nachhaltige wirtschaftliche Perspektive zu ermöglichen, ohne dass die Fleischpreise dafür in die Höhe schnellen?
Dr. Alexander Hinrichs: Klarheit, Zeit, Verbindlichkeit! Es geht darum, realistische, umsetzbare Schritte klar zu definieren, die für die Landwirte machbar und für den Markt bezahlbar sind – ohne die Verbraucher vor untragbare Preisanstiege zu stellen. Eine solche Entwicklung erfordert Zeit und das Einbeziehen aller Akteure, von den Landwirten über Fleischwirtschaft und Handel bis hin zu den Verbrauchern. Und dann muss auch gemacht werden. Wenn der Erfolg der Initiative Tierwohl eines zeigt, dann dass den Gesprächen Handlungen folgen müssen. Es ist besser, das Machbare auch zu tun, als über das Ideale immer weiter zu diskutieren.
Welche Finanzierungsinstrumente halten Sie für geeignet, um die Landwirte bei den notwendigen Umstellungen zu unterstützen?
Dr. Alexander Hinrichs: Bei der Initiative Tierwohl basiert die Zusammenarbeit auf einem Marktmodell. Zwischen Schlachtbetrieb und Landwirt gibt es eine Aufpreisempfehlung, diese wird von Experten aus der Branche berechnet und von den Gremien schlussendlich festgelegt. So wird eine faire und nachhaltige Finanzierung der Tierwohl-Maßnahmen ermöglicht. Diese Marktlösung funktioniert. Eine Finanzierung durch den Staat hat dagegen ihre Tücken. Steuern bzw. Abgaben sind oft nicht zweckgebunden, EU-rechtlich problematisch bzw. mit hohem Bürokratieaufwand verbunden. Die letzten Legislaturperioden haben gezeigt, dass es auch keine politische Mehrheit für das eine oder das andere staatliche Finanzierungsmodell gab.
In Umfragen äußern viele Verbraucher den Wunsch nach mehr Tierwohl. Auch der Lebensmitteleinzelhandel wirbt zunehmend mit höheren Haltungsstandards. Dennoch bleibt der Absatz von Fleisch aus höheren Tierwohlklassen vergleichsweise gering. Worin sehen Sie die Ursachen für diese Diskrepanz?
Dr. Alexander Hinrichs: Die Diskrepanz zwischen dem Wunsch nach mehr Tierwohl und dem Kaufverhalten liegt vor allem am höheren Preis für Fleisch aus besseren Haltungsbedingungen und den gewohnten Kaufgewohnheiten der Verbraucher. Vielen Verbrauchern ist Tierwohl zwar wichtig, aber sie sind auch preissensibel und greifen daher oft zu günstigeren Produkten. Auch wenn Verbraucher in Umfragen Zahlungsbereitschaft signalisieren, treffen sie beim Einkauf eine Preisentscheidung. Ein schwieriges wirtschaftliches Gesamtumfeld vergrößert diese Herausforderung. Unserer Überzeugung nach müssen sich Tierwohl und Markt gemeinsam in kleinen Schritten entwickeln. Immer mit Blick für das Machbare und das Bezahlbare.
Wie sieht es mit der Ausdehnung des Tierwohl-Siegels auf die Gemeinschaftsverpflegung aus? In Speisekarten tauchen des Öfteren Hinweise auf Bio- oder regionales Fleisch auf, das Tierwohl-Siegel eher nicht.
Dr. Alexander Hinrichs: Die Gastronomie spielt eine zentrale Rolle für mehr Tierwohl in der Breite. Zwar ist das Tierwohl-Siegel auf Speisekarten derzeit noch nicht flächendeckend sichtbar, doch es tut sich viel: Immer mehr gastronomische Betriebe – darunter zum Beispiel McDonald’s Deutschland – setzen bewusst auf das Angebot der Initiative Tierwohl. Aber die Gastro-Branche ist jenseits der Vorreiter wie McDonald‘s noch weit davon entfernt, sich flächendeckend ihrer Verantwortung für Tierwohl zu stellen. Wir haben ein Angebot für große Unternehmen der Branche. Wegducken ist eigentlich keine Option mehr.
Das Tierwohl-Siegel Ihrer Initiative hat sich neben anderen privatwirtschaftlich organisierten bereits erfolgreich im Markt etabliert. Tatsächlich muss man hier nach dem Sinn einer staatlichen Konkurrenz fragen. Auch die Akzeptanz der Verbraucher ist nicht gesichert. Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass das Vorhaben politisch noch einmal überdacht wird?
Dr. Alexander Hinrichs: Ich plädiere stark dafür, dass das Vorhaben politisch noch einmal überarbeitet wird. Eine Neubewertung des bisherigen Plans ist dringend erforderlich. Es gibt entscheidende Punkte, die für eine zukunftsfähige und praxistaugliche Umsetzung von zentraler Bedeutung sind und die nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Eine gründliche Überprüfung und Anpassung des Vorhabens ist daher notwendig.
Wenn Sie Alois Rainer eine zentrale Botschaft mit auf den Weg geben könnten – welche wäre das?
Dr. Alexander Hinrichs: Meine zentrale Botschaft an den Minister lautet: Lassen Sie uns gemeinsam an einer Lösung arbeiten. Für einen konstruktiven Austausch stehen wir zur Verfügung. Warum das Rad neu erfinden, wenn es bereits gut funktionierende, etablierte privatwirtschaftliche Systeme gibt, die wir weiterentwickeln können – effizient und zielgerichtet. Eine nachhaltige Verbesserung des Tierwohls erfordert einen pragmatischen, schrittweisen Ansatz. Eine gemeinsame Kraftanstrengung von Staat und Wirtschaft.