Nach monatelangem Ringen und Druck aus der Wirtschaft haben sich das Europäische Parlament, der Rat und die EU-Kommission auf eine Verschiebung und substanzielle Vereinfachung der umstrittenen EU-Entwaldungsverordnung (EUDR) geeinigt. Das Europäische Parlament hat am 17. Dezember 2025 die Trilog-Einigung angenommen. Für die deutsche Ernährungsindustrie ist das zunächst ein Aufatmen. Doch die Branche mahnt, die gewonnene Zeit konsequent zu nutzen.
Die Verschiebung des Anwendungsbeginns auf den 30. Dezember 2026 für große Unternehmen und sogar bis Ende Juni 2027 für kleine Betriebe war eine Kernforderung der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE). „Die Einigung im Trilog-Verfahren ist der einzig richtige Schritt hin zu mehr Realismus in der Regulierung“, ordnet Kim Cheng, Geschäftsführerin der BVE, die Entwicklung ein. „Sie verhindert kurzfristig erhebliche Störungen der Lieferketten und gibt den Unternehmen die notwendige Zeit, sich sachgerecht auf die neuen Anforderungen vorzubereiten.“
Drohende Versorgungsengpässe abgewendet
Die Erleichterung in der Branche ist spürbar. Immerhin hätten die knapp 6.000 Betriebe der deutschen Ernährungsindustrie mit ihren 644.000 Beschäftigten ab Ende Dezember 2025 massive Compliance-Anforderungen erfüllen müssen. Und das ohne funktionierende IT-Systeme und ausreichende Vorlaufzeit und mit der Gefahr empfindlicher Strafen bei Verstößen.
„Gerade für die Ernährungsindustrie, die in hohem Maße auf globale Agrarrohstoffe wie Kakao, Kaffee, Soja oder Palmöl angewiesen ist, wäre alles andere mit erheblichen Risiken für die Versorgungssicherheit verbunden gewesen“, betont Cheng. Die BVE vertritt eine Branche, die mit einem Jahresumsatz von 232,6 Milliarden Euro und einer Exportquote von 35 Prozent zu den tragenden Säulen der deutschen Wirtschaft zählt und dabei zu 90 Prozent mittelständisch geprägt ist.
Vereinfachungen entlang der Lieferkette
Neben der Verschiebung bringt die Trilog-Einigung konkrete Erleichterungen, die die BVE positiv bewertet: Die Streichung von Büchern, Zeitungen und Druckerzeugnissen aus dem Geltungsbereich, keine Sammlung von Referenznummern mehr entlang der gesamten EU-Lieferkette und weitreichende Vereinfachungen für Primärerzeuger aus Ländern ohne Entwaldungsprobleme.
Besonders kleine Betriebe profitieren. Kleinst- und kleine Primärerzeuger aus Ländern mit niedrigem Entwaldungsrisiko müssen künftig nur noch eine einmalige Registrierung im EU-System vornehmen und eine vereinfachte Sorgfaltserklärung abgeben. Sie können Betriebsadressen statt präziser Geodaten angeben und Erntemengen schätzen. Anpassungen sind nur noch bei grundlegenden Änderungen nötig. „Die Reduzierung von Dokumentations- und Weitergabepflichten kann einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, den bürokratischen Aufwand zu begrenzen und unnötige Belastungen insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen zu vermeiden“, so Cheng.
Die Revisionsklausel als Hoffnungsträger
Ein entscheidender Punkt der Einigung ist die Revisionsklausel: Die EU-Kommission muss bis April 2026 weitere Erleichterungspotenziale ermitteln und gegebenenfalls neue Legislativvorschläge vorlegen. Für die BVE ist das eine wichtige Zusage, reicht aber noch nicht aus.
Die Branchenvertretung hatte ursprünglich fünf zentrale Forderungen formuliert, von denen längst nicht alle erfüllt sind. Insbesondere der sogenannte „Importer-only-Ansatz“, bei dem nur die Erstinverkehrbringer Sorgfaltspflichten erfüllen müssen, wurde nicht umgesetzt. Auch die Frage eines voll funktionsfähigen TRACES-Systems bleibt virulent.
Das TRACES-Dilemma
EU-Umweltkommissarin Jessika Roswall hatte bereits im September 2025 eingeräumt, dass das zentrale IT-Informationssystem die zu erwartenden Datenmengen nicht bewältigen könne. Die Folge: Unternehmen könnten sich nicht registrieren, keine Sorgfaltserklärungen einreichen und keine Informationen für Zollzwecke bereitstellen. „Ohne ein vollständig funktionales TRACES-System ist eine rechtskonforme und digitale Umsetzung der EUDR nicht möglich“, warnt die BVE.
Zeit nutzen, nicht verschwenden
„Die Unternehmen stehen uneingeschränkt hinter dem Ziel, weltweite Entwaldung wirksam zu bekämpfen“, stellt Kim Cheng klar. „Damit dieses Ziel erreicht werden kann, braucht es jedoch realistische, praktikable und digital handhabbare Vorgaben.“ Die nun gewonnene Zeit müsse konsequent genutzt werden, um die EUDR gemeinsam mit der Wirtschaft weiterzuentwickeln, offene Rechtsfragen zu klären und ein echtes Level Playing Field sicherzustellen. Für die deutsche Ernährungsindustrie geht es um mehr als Bürokratievermeidung. Es geht um die Frage, ob Europa in der Lage ist, ambitionierte Umweltziele mit wirtschaftlicher Vernunft zu verbinden. Die EUDR-Verschiebung ist ein erster Schritt. Ob er ausreicht, wird sich in den kommenden Monaten zeigen.
>> Hier geht es zu den fünf zentralen Forderungen der BVE.

