Präzision gegen Verschwendung – So senkt die Lebensmittelindustrie Food Waste

Deutschland diskutiert in der Woche gegen Lebensmittelverschwendung über Ursachen, Zahlen und Lösungen. 10,8 Millionen Tonnen landen jedes Jahr im Abfall, der größte Teil davon in privaten Haushalten. In der Lebensmittelindustrie sind die Prozesse seit Langem auf Effizienz getrimmt. Mit Sensorik, Robotik und Künstlicher Intelligenz geht die Branche heute noch einen Schritt weiter.

Mitarbeiter überwacht Getränkeproduktion mit Tablet und DatenanalyseQuelle: metamorworks / Adobe Stock

Wer über Lebensmittelverschwendung spricht, landet schnell bei großen Zahlen. Fast 11 Millionen Lebensmittelabfälle, das klingt gewaltig. 58 Prozent entstehen dabei in unseren privaten Haushalten, 18 Prozent in der Außer-Haus-Verpflegung, 7 Prozent im Handel. Die Verarbeitung, also die Industrie, ist für rund 15 Prozent verantwortlich. Das ist zwar nicht wenig, aber eine vergleichsweise geringe Quote und das Ergebnis jahrzehntelanger Prozessoptimierung.

„Verluste zu vermeiden, ist längst Teil der täglichen Praxis, sei es durch präzise Planung, optimierte Anlagentechnik oder den bewussten Umgang mit Rohstoffen,“ sagt Dr. Volker Heinz, Geschäftsführer des Deutschen Instituts für Lebensmitteltechnik (DIL) im Interview mit der BVE.

Technik, die Abweichungen rettet

Verluste entstehen häufig in kleinen Abweichungen beim Abfüllen, in Überproduktionen oder im Verpackungsprozess. Deshalb setzen Lebensmittelhersteller auf Technik, die solche Schwachstellen sichtbar macht und Lebensmittel in den Kreislauf zurückführt.

Unilever nutzt im Knorr-Werk Heilbronn beispielsweise eine speziell entwickelte Maschine, die Packungen rettet, die wegen minimaler Abweichungen eigentlich aussortiert würden. Der Inhalt wird dabei hygienisch entnommen, neu verpackt und die alte Hülle recycelt. „Die Maschine wurde direkt im Werk entwickelt und hilft nicht nur, weniger Abfall zu produzieren, sondern macht die Produktion auch messbar effizienter“, so Unilever. Darüber hinaus engagiert sich das Unternehmen bei United Against Waste e. V., einer von der BVE mitgegründeten Initiative. Dort werden Küchen- und Kantinenabfälle erfasst, Hotspots identifiziert und gemeinsam mit den Betrieben passgenaue Lösungen entwickelt.

Auch in der Forschung stehen solche Detailverluste im Fokus. „Besonders Produktwechsel sind in der Lebensmittelindustrie mit Materialverlusten verbunden. Inline-Sensorik ermöglicht es, Prozesse schnell zu stabilisieren, sodass weniger Ausschuss entsteht,“ erklärt Dr. Volker Heinz. Ein praktisches Beispiel ist der am DIL entwickelte Vacuum Slicer Greifer, der die Reststücke beim Schneiden von Wurstwaren von rund 15 Millimetern auf nur 3 Millimeter reduziert. Das sind mehrere zusätzliche Scheiben pro Einheit, die sonst im Abfall gelandet wären.

Diese Beispiele zeigen, dass schon kleine Verbesserungen große Wirkung haben können. Roboterarme und adaptive Steuerungen sorgen dafür, dass Füllstände oder die Konsistenz eines Produkts permanent überwacht werden. Algorithmen greifen in Echtzeit ein, justieren Temperaturen oder die Taktgeschwindigkeit der Linie. In Pilotbetrieben ließ sich die Quote fehlerhafter Produkte auf diese Weise um bis zu 30 Prozent senken. Das Ergebnis: weniger Abfall und deutlich mehr Effizienz im täglichen Betrieb.

Industrielle Keksproduktion mit Sensoren zur QualitätskontrolleQuelle: Dusko / Adobe Stock

Logistik auf den Punkt

Harry Brot zeigt, wie viel Intelligenz in Logistik liegen kann. Hier wird täglich neu geplant, und zwar in Echtzeit. Digitale Bestellsysteme melden den Fahrern unterwegs, welche Mengen tatsächlich gebraucht werden. Gebacken und geliefert wird nur das, was noch am selben Tag in den Regalen Platz findet. Das reduziert Retouren und Überproduktion.

„Wir wollen so viel Brot wie möglich an die Kundinnen und Kunden bringen – und so wenig wie nötig zurückholen. Darum setzen wir auf flexible Planung und kurze Wege,“ heißt es bei Harry Brot.

Auf Produktebene verlängern Reinraumbedingungen die Haltbarkeit ohne Konservierungsstoffe. Und mit der Kampagne „Oft länger gut“ macht Harry Brot deutlich, dass Haltbarkeitsdaten nicht das letzte Wort haben. Ein Hinweis, der im Alltag tonnenweise Lebensmittel retten kann.

Verwertung ohne Rest

In der Fleischwirtschaft gilt seit Langem das Prinzip der vollständigen Verwertung. Simon Fleisch zeigt exemplarisch, wie umfassend Nebenströme genutzt werden: Innereien gehen – je nach Qualität – in die Lebensmittelverarbeitung oder in Tiernahrung, Blut in die Pharmaindustrie, Fette in Biokraftstoffe oder Kosmetika, Knochen in Futtermittel oder Dünger. Digitale Waagen und Steuerungen sichern exakte Portionierungen, Früherkennungssysteme verhindern Ausschuss. Was unvermeidbar bleibt, wird zu Wertstoffen.

Dieses Prinzip findet sich inzwischen in nahezu allen Bereichen der Ernährungsindustrie. So wird Molke aus der Käseproduktion zu einen als Futtermittel genutzt und dient zudem als Basis für Eiweißdrinks oder Sportnahrung. Bei der Ölgewinnung entstehen Presskuchen, die zu hochwertigen Ballaststoffmehlen oder Proteinzutaten für Backwaren weiterverarbeitet werden. Auch Obst- und Gemüseschalen landen nicht ungenutzt im Abfall: Sie werden zu natürlichen Aromen, farbgebenden Zutaten oder zu Biogas verarbeitet, das wiederum Energie für die Produktion liefert.

Nestlé entwickelt etwa Produkte aus Kaffeekirschen, die bisher entsorgt wurden, und prüft, wie Nebenprodukte der Agrarverarbeitung für neue Lebensmittel oder Verpackungen genutzt werden können. Europäische Projekte wie AgroMatter zeigen zudem, wie sich Reststoffe in biobasierte Verpackungsmaterialien überführen lassen. So entsteht eine durchgängige Kultur der Verwertung, die vermeintliche Abfälle als Ressource begreift.

KI als Zutat der Zukunft

Die eigentliche Neuerung in der Branche aber heißt Künstliche Intelligenz. Während früher Erfahrungswerte und Stichproben über Mengen, Qualität und Haltbarkeit entschieden, werden heute Milliarden Datenpunkte in Echtzeit ausgewertet.

„KI ermöglicht es, große Datenmengen in Echtzeit zu verarbeiten und Abweichungen im Prozess sofort zu erkennen. Besonders stark ist KI darin, Muster über lange Zeiträume sichtbar zu machen und komplexe Zusammenhänge aufzudecken,“ sagt Dr. Heinz. Hyperspektralkameras können zum Beispiel winzige Unterschiede in der Farbe oder Struktur erkennen, die dem menschlichen Auge entgehen. So lassen sich Rückschlüsse auf Wasser- oder Fettgehalt ziehen und Qualitätsabweichungen direkt während der Verarbeitung feststellen.

Industrieroboter überprüft Shrimps auf einem Förderband – automatisierte Qualitätskontrolle in der LebensmittelproduktionQuelle: pisan thailand / Adobe Stock

Forscherinnen und Forscher gehen weiter. Digitale Zwillinge von Lebensmitteln und Prozessen erlauben Simulationen, die Rückschlüsse auf Haltbarkeit oder Geschmack zulassen. „Anstatt Stichproben zu ziehen, kann mit diesen Technologien die gesamte Charge überwacht werden. Fehlerhafte Rohwaren oder Produkte werden schon während der Verarbeitung erkannt und aussortiert,“ erklärt Heinz.

Internationale Konzerne wie Nestlé investieren stark in diesen Bereich. Gemeinsam mit IBM entwickelte das Unternehmen ein generatives KI-Modell, das neue Hochbarriere-Materialien identifizieren kann. Parallel nutzt Nestlé digitale Zwillinge von Produktionslinien und ein Rezepturoptimierungstool, das Zutaten, Nährwerte, Nachhaltigkeit und Kosten in Balance bringt.

Effizienz als Haltung

Ob Sensorik, Nebenstromverwertung, KI oder smarte Verpackung – die Strategien unterscheiden sich, die Haltung ist dieselbe: Lebensmittel sind zu wertvoll, um sie zu verschwenden. „Eine hundertprozentige Vermeidung von Verlusten wird es nicht geben, denn Naturprodukte sind schlicht zu variabel. Aber jede vermiedene Tonne bedeutet mehr Wertschätzung für Rohstoffe, für die Arbeit der Menschen und für die Umwelt,“ betont Heinz.

Auch Torsten von Borstel, Geschäftsführer von United Against Waste e. V., unterstreicht: „Jede vermiedene Tonne Lebensmittelabfall bedeutet mehr Wertschätzung für Rohstoffe, für die Arbeit der Menschen und für die Umwelt.“

Die Ernährungsindustrie arbeitet seit Jahrzehnten mit hoher Effizienz. Heute kommen Technologien hinzu, die diesen Vorsprung noch einmal vergrößern. Tag für Tag, Charge für Charge. Effizienz verbindet in dem Fall ökonomischen Nutzen mit Verantwortung für Lebensmittel, Arbeit und Umwelt.