Referentenentwurf für ein Wettbewerbsdurchsetzungsgesetz (11. GWB-Novelle)
Die BVE begrüßt den vorliegenden Gesetzentwurf als ein Mittel zur Stärkung des fairen Wettbewerbs und nimmt dazu wie folgt Stellung:
1. Die Ernährungsindustrie in Deutschland
Die deutsche Ernährungsindustrie ist mit 638.831 Beschäftigten in 6.152 Betrieben der fünftgrößte deutsche Industriezweig. Sie ist überwiegend klein- und mittelständisch geprägt, rund 90 % der Beschäftigten arbeiten in Unternehmen mit weniger als 250 Mitarbeitern.
In 2021 erzielte die Branche einen Gesamtumsatz in Höhe von 186,3 Mrd. Euro, davon entfielen 120,5 Mrd. Euro auf den inländischen Umsatz und 65,8 Mrd. Euro wurden im Export erzielt.
2. Der Lebensmitteleinzelhandel (LEH), wichtigster Absatzpartner für die Ernährungsindustrie
Der LEH ist der größte Absatzkanal für die Ernährungsbranche. Die große Mehrheit der Lebensmittel gelangt über den stationären Handel zum Endverbraucher. Dabei herrscht im deutschen LEH eine hohe Konzentration: Mittlerweile entfallen rund 85 % des mit Lebensmitteln getätigten Umsatzes im Lebensmittelhandel auf vier große Handelsunternehmen (Quelle: Bundeskartellamt). Dieser Bereich ist somit oligopolistisch geprägt. In 1999 entfiel ein Marktanteil in Höhe von 70 % auf die seinerzeit acht größten Lebensmittelhändler. Für die Lebensmittelher- steller bedeutet das einen intensiven Wettbewerb, um die begrenzten Regalflächen in diesen Handelsunter- nehmen.
Bereits in 2014 hat das Bundeskartellamt in seiner Sektoruntersuchung „Lebensmitteleinzelhandel“ festgestellt, dass die Wettbewerbsbedingungen im Lebensmitteleinzelhandel in Deutschland von einer Spitzengruppe bestehend aus den vier national tätigen Lebensmitteleinzelhändlern EDEKA, REWE, Schwarz Gruppe und Aldi dominiert werden. Nach dieser Untersuchung wurden unter Beteiligung einzelner Akteure weitere Zusammen- schlussvorhaben vollzogen, wie z. B. die Übernahmen von Kaiser’s Tengelmann durch EDEKA und des norddeutschen Lebensmitteleinzelhändlers COOP durch REWE, wodurch die Konzentration im deutschen Lebensmitteleinzelhandel weiter forciert worden ist.
Die Unternehmen der Spitzengruppe sind weitgehend in der Lage, ihre starke Marktposition in den Verhandlungen mit der Lebensmittelindustrie zu ihrem Vorteil zu nutzen. Dies verstärkt die Verhandlungsmacht der Händler gegenüber den Herstellern. Vor diesem Hintergrund lassen sich die Lieferanten oftmals auch auf grenzwertige, unterhalb der Missbrauchsschwelle liegende Handelspraktiken und Forderungen von Handelspartnern ein, um bestehende Listungen nicht zu gefährden. Denn die Einschränkung oder der Abbruch von Geschäftsbeziehungen durch eines der großen Handelsunternehmen und der damit verbundene Absatz- und Umsatzausfall sind in der Regel von wesentlicher Bedeutung für die Lieferanten und lassen sich nicht substituieren. Davon sind Lieferanten aller Größenordnungen betroffen.
3. Erweiterung des Rechtsrahmens erforderlich
Der bislang vorliegende Rechtsrahmen ist nicht dazu geeignet, diesen Beschwernissen, denen Lieferanten mitunter ausgesetzt sind, zufriedenstellend entgegenzuwirken. Denn die Sorge vor wirtschaftlichen Benachteili- gungen lässt die betroffenen Hersteller regelmäßig davon Abstand nehmen, ihre Rechtspositionen zu wahren. Vor diesem Hintergrund bedarf es zusätzlicher rechtlicher Instrumente, die es ermöglichen, tatsächlichem oder potentiellem diskriminierendem Verhalten wirksam zu begegnen und Märkte wettbewerblich zu öffnen.
Die Möglichkeit einer missbrauchsunabhängigen Entflechtung, die § 32 f. Abs.4 GWB-E zugrunde liegt, stellt einen zielführenden Ansatz dar. Bereits in 2010 hat sich die Monopolkommission für die Einführung dieses kartellrechtlichen Instruments ausgesprochen. Die vorliegende Regelung stellt sicher, dass eine Entflechtung als strukturelle Eingriffsmaßnahme nur als äußerstes denkbares Mittel für behördliche Interventionen in Betracht kommen kann. Dadurch wird es gegebenenfalls ermöglicht, oligopolistischen Strukturen und den damit verbundenen negativen Effekten aufgrund mangelnden Wettbewerbs entgegenzuwirken.
Zu begrüßen ist in diesem Zusammenhang auch die im Gesetzentwurf (§ 32 f GWB-E) vorgesehene Weiter- entwicklung des Instruments der Sektoruntersuchung. Diese ermöglicht es, dass das Bundeskartellamt aufgrund der getroffenen Feststellungen ggf. unmittelbare Marktinterventionen vornehmen kann, wie zum Beispiel die vorgenannte Entflechtung, um einen fairen Leistungswettbewerb sicherzustellen.
4. Zur BVE
Die BVE ist der wirtschaftspolitische Spitzenverband der deutschen Ernährungsindustrie. Seit ihrer Gründung 1949 vertritt sie erfolgreich die branchenübergreifenden Interessen der Branche gegenüber Politik, Verwaltung, Medien, Öffentlichkeit und Marktpartnern. In der BVE haben sich über Fachverbände und Unternehmen alle wichtigen Branchen der Ernährungsindustrie – von den alkoholfreien Getränken über Fleisch und Süßwaren bis hin zum Zucker – zusammengeschlossen. Die Branche ist klein- und mittelständisch geprägt: 90 Prozent der Unternehmen der deutschen Ernährungsindustrie gehören dem Mittelstand an.