„Mogelpackungen und Shrinkflation“: Was steckt wirklich dahinter?

Produkte werden kleiner, der Preis bleibt gleich: Shrinkflation sorgt immer wieder für Kritik und Schlagzeilen. Für manche Verbraucher wirkt die verkleinerte Packung wie eine Täuschung. Doch ein genauer Blick zeigt: Hinter der Praxis steckt weniger Berechnung als vielmehr der Versuch, in schwierigen Zeiten Balance zu halten.

Ein Mann steht im Supermarkt vor einem Kühlregal und prüft aufmerksam das Etikett einer Milchflasche – Symbolbild für bewussten Einkauf und Preisvergleich.Quelle: bodnarphoto / Adobe Stock

Kostenlawine für die Ernährungswirtschaft

Shrinkflation – das Wort klingt sperrig, fast technokratisch. Doch es beschreibt ein reales Problem. Lebensmittelhersteller stehen unter einem Druck, der so hoch ist wie selten zuvor. Energiepreise schwanken auf hohem Niveau, Transportkosten sind gestiegen, Verpackungen schlagen stärker zu Buche. Klimaveränderungen beeinträchtigen Ernten, globale Handelsrouten stehen unter Spannung. Der Preis für Kakao beispielsweise hat sich in den vergangenen zwölf Monaten fast verdreifacht, von rund 3.750 Euro je Tonne im Januar 2024 auf über 11.400 Euro im Januar 2025. Auch andere Rohstoffe wie Pflanzenöl, Milch und Fleisch sind laut FAO Food Price Index deutlich teurer geworden.

Gleichzeitig steigen die Löhne und Lohnnebenkosten, während der Fachkräftemangel wächst. Ein erheblicher Teuerungsfaktor, der häufig übersehen wird, sind die zunehmenden bürokratischen Anforderungen, die an Unternehmen gestellt werden: vom deutschen und europäischen Lieferkettengesetz, über die Nachhaltigkeitsberichtspflichten bis zur Entwaldungsverordnung.

Nicht zuletzt erfordert auch die Umstellung der Produktion auf regenerative Energien und viele weitere Schritte in Richtung Klimaneutralität bis 2045 hohe Investitionen. Neu dazu kommen Aufwendungen zum Schutz der Produktionsanlagen vor Cyberangriffen und Anschlägen im Rahmen der Kritis-Verordnungen. Alles zusammen ergibt eine Kostenlawine, die gerade eine ohnehin margenschwache Branche wie die Ernährungswirtschaft besonders trifft. Deutschland gehört zu den preissensibelsten Lebensmittelmärkten Europas.

Zwischen Preisschild und Qualität

Unternehmen versuchen zunächst, gestiegene Kosten intern abzufedern, zum Beispiel durch effizientere Produktionsabläufe, günstigere Einkaufsstrategien oder niedrigere Gewinnmargen. Doch diese Puffer haben Grenzen. Bleiben die Belastungen hoch, stehen die Hersteller vor einer Wahl: Preise erhöhen, Qualität senken oder die Menge anpassen.

Jede dieser Optionen hat Konsequenzen. Eine Preiserhöhung trifft gerade Haushalte mit knappen Budgets. Für die Lebensmittelhersteller geht sie oft mit Absatzrückgang einher, gerade wenn im Supermarktregal psychologische Preisgrenzen überschritten werden, zum Beispiel 0,99 Euro, 1,49 Euro, 1,99 Euro und so weiter. Eine veränderte Rezeptur untergräbt Vertrauen und beschädigt das Qualitätsversprechen. Die Reduktion der Menge schließlich ist selten populär, bewahrt aber die Qualität des Produkts und hält es im vertrauten Preisrahmen.

Transparenz und Verantwortung

Natürlich wäre es falsch, Schrumpfungen heimlich vorzunehmen. Genau dieser Vorwurf steht im Raum: dass Unternehmen ihre Kunden bewusst täuschen wollten, indem sie Verpackungen fast unverändert lassen und so den Eindruck erwecken, es habe sich nichts geändert. Von „Mogelpackungen“ oder „versteckten Preiserhöhung“ ist hier die Rede.

Doch die Wirklichkeit ist differenzierter. In Europa gilt eine klare Regel: Jede Verpackung muss die exakte Füllmenge nennen. Zutaten und Nährwerte sind klar aufzuführen, im Handel ist der Grundpreis pro 100 Gramm oder Kilogramm verpflichtend angegeben. Wer vergleichen will, kann vergleichen.

„Transparenz ist für die Branche ein zentraler Wert“, sagt Oliver Numrich, Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei der BVE. „Deshalb gehen viele Unternehmen schon heute über das rechtlich Gebotene hinaus – sei es mit Hinweisen auf der Verpackung, über Websites oder in den sozialen Medien.“

Eine zusätzliche Kennzeichnungspflicht, wie ihn Verbraucherschützer zuweilen fordern, klingt erst mal nachvollziehbar, hat aber Nebenwirkungen: höhere Bürokratie, steigende Verpackungskosten, zusätzliche Abfallberge, wenn Etiketten oder Kartonagen kurzfristig unbrauchbar werden.

Auch die Logistik würde komplizierter. Viele Hersteller beliefern ganz Europa mit einheitlichen Verpackungen. Nationale Sonderkennzeichnungen durchbrechen diese Systeme und verteuern die Produktion. Hinzu kommt die Marktpsychologie: Ein Hinweis wie „weniger Inhalt“ wirkt wie ein Stoppschild, selbst wenn es nur um minimale Anpassungen geht. Am Ende könnten Verbraucher aus Unsicherheit seltener zugreifen, was paradoxerweise wiederum zu steigenden Preisen führt.

Handel bestimmt den Preis im Regal

Gleichzeitig darf man nicht vergessen: Den Endpreis legt nicht der Hersteller fest, sondern der Handel. Hersteller verhandeln Abgabepreise und Konditionen, dürfen aber keinen Endkundenpreis vorgeben. Wenn also am Regal ein bestimmter Preis steht, ist es das Ergebnis komplexer Verhandlungen und manchmal ist die kleinere Packung der einzige Weg, im Wettbewerb zu bestehen.

Zwischen Kritik und Realität

Shrinkflation ist kein Zeichen mangelnden Respekts vor den Kunden. Im Gegenteil, sie ist oft Ausdruck des Versuchs, trotz globaler Krisen ein vertrautes Produkt zugänglich zu halten, ohne dessen Wesen zu verändern. Ein Puffer, der Preise stabilisiert, Qualität bewahrt und fairen Wettbewerb ermöglicht. Natürlich kann man das kritisieren. Aber man sollte zugleich anerkennen, dass Hersteller nicht im luftleeren Raum handeln. Sie bewegen sich in wettbewerbsintensiven Märkten voller Volatilität, Regulierung und Kostendruck. Shrinkflation ist keine Täuschung, sondern in vielen Fällen eine pragmatische Antwort auf außergewöhnliche wirtschaftliche Belastungen.