Lieber Herr Wolfram, Ihre Agentur Engel & Zimmermann hat anhand der Ankündigungstexte für TV-Sendungen untersucht, wie das Thema Ernährung in den Medien abschneidet. Was ist dabei herausgekommen?
Christian Wolfram: Das Jahr 2024 hat einen Trend bestätigt, der bereits in unseren Untersuchungen der vergangenen Jahre deutlich wurde: Die Lebensmittelbranche spielt in der TV-Berichterstattung – vor allem in den bekannten Verbraucherformaten – eine große Rolle. Durchschnittlich gibt es fast jeden Tag einen Beitrag über Ernährung, Lebensmittelindustrie oder Landwirtschaft. Doch die Art und Weise, wie über die Branche berichtet wird, ist, wie in den Jahren zuvor, tendenziell kritisch. Das erkennt man an Titeln wie „Die Tricks von…“ oder „Wie gut ist… wirklich?“. Das ist schade, denn viele unserer Kunden fühlen sich da zu Unrecht an den Pranger gestellt.
Überrascht Sie das? Schließlich beraten Sie doch viele Lebensmittelhersteller beim Umgang mit den Medien?
Christan Wolfram: Wenn wir unsere Kunden im Umgang mit Medien beraten, geht unser Blick über die kritischen Themen und Formate hinaus. Klar, auf diese müssen sie sich kommunikativ vorbereiten. Aber wir wollen unsere Kunden auch anregen, beispielsweise beim Thema Nachhaltigkeit, über ihre positiven Themen, ihre Leuchttürme, aktiv zu sprechen. Hier haben wir sehr gute Erfahrungen jenseits der klassischen Nachhaltigkeitsberichte gemacht.
Manche Hersteller, die schlechte Erfahrungen gemacht haben, reagieren gar nicht mehr auf Medienanfragen. Ist das der bessere, weil sicherere Weg?
Christian Wolfram: Das würde ich so nicht sagen. Bei TV-Anfragen gilt eher: Es braucht einen erfahrenen Blick auf die Anfrage, das Medium und den Kontext, um eine Anfrage richtig einschätzen zu können. Nur so kann man entscheiden: Gibt es für uns etwas zu gewinnen? Oder dienen wir bei dem Bericht nur als Kulisse oder gar als Sündenbock für eine ganze Branche, weil die Story im Kopf des Redakteurs sowieso schon feststeht.
Das Thema Nachhaltigkeit wurde laut Ihren Ergebnissen im Zusammenhang mit Ernährung viel häufiger aufgegriffen, als Fragen wie Preis oder Geschmack. Wie kommt das?
Christian Wolfram: Das ist in der Tat ein überraschendes Ergebnis, denn der Ansatz der meisten Verbraucherformate ist ja, die Zuschauer quasi am Küchentisch oder an der Supermarktkasse direkt abzuholen. Und da spielen Geschmack und Preis eindeutig eine größere Rolle als Nachhaltigkeit, vor allem im vergangenen Jahr, als noch stärker das Inflations- und Preisthema die Verbraucher beschäftigt hat.
Was halten Sie generell von Sendungen wie „Die Tricks der…“ in der ARD oder den ZDF-Besseressern, bei denen grundsätzlich Industrie-Bashing betrieben wird?
Christian Wolfram: Ich muss zugeben, dass einige dieser Sendungen aus Verbrauchersicht wirklich sehr unterhaltsam sind. Diese Einschätzung teilt aber aus nachvollziehbaren Gründen keiner meiner Kunden. Denn tatsächlich ist es so, dass diese Beiträge immer nach dem gleichen Muster ablaufen: Groß gegen Klein, Industrie gegen Handwerk, Gut gegen Böse. Die Hersteller nehmen hier im Grunde immer die Rolle der „bösen“ Industrie ein. Von daher gibt es meistens tatsächlich nicht viel zu gewinnen. In den seltensten Fällen raten wir zu einem Statement vor der Kamera. Ignorieren ist aber auch nicht die feine Art. Es hängt stark von der Anfrage ab, welches die richtige Reaktion ist. Und natürlich auch, ob Sie ein bekannter Markenartikler sind, von dem eine Äußerung eher erwartet wird als von einem unbekannteren Unternehmen.
Was macht dieses „Mittelfinger-Entertainement“ eigentlich mit den Verbrauchern? Ändern die danach ihr Kaufverhalten oder sind ihnen die Inhalte am Ende egal?
Christian Wolfram: Naja, ganz egal würde ich auch nicht sagen. Auch wenn sich keine unmittelbaren Auswirkungen auf den Absatz erkennen lassen, macht es doch etwas mit dem Verbraucher, wenn er sein geschätztes Markenprodukt schlecht bewertet sieht. Und vergessen wir nicht: Es geht für die Industrie ja nicht nur um die Verbraucher. Bei Produkten, die die Hersteller für die Eigenmarken des Handels produzieren, kommt mit dem Handel eine weitere Zielgruppe hinzu, der sich Hersteller bewusst sein sollten.
Eine andere Quelle für Verdruss für Hersteller sind die Veröffentlichungen von Test-Magazinen, weil hier oft eigenwillige Sekundärstandards genutzt werden. Wie sollten Hersteller reagieren, wenn ihre Produkte willkürlich abgewertet werden?
Christian Wolfram: Zunächst einmal ist es wichtig, dass für den Leser einzig und allein die Gesamtnote zählt. Er schaut weder nach Teilaspekten wie der Sensorik noch nimmt er wahr, wenn ein Unternehmen sich mit der Redaktion streitet und im nächsten Heft eine kleine Meldung bekommt, dass die Note nach oben korrigiert wurde. Daher lautet unsere Empfehlung an unsere Kunden: Tut im Vorfeld alles in eurer Macht stehende, um eine gute Note zu bekommen. Das bedeutet in letzter Zeit vor allem, dass man den Anforderungen an Transparenz, zum Beispiel in der Lieferkette, bestmöglich nachkommt. Wenn ich schon weiß, dass ich beispielsweise durch einen Laborwert eine Abwertung erhalte, sollte ich es vermeiden, in anderen Kategorien ohne Not noch weiter abgewertet zu werden, nur weil ich bestimmte Informationen nicht zur Verfügung stellen mag. Ich weiß, dass viele Hersteller gerade bei Fragen der Lieferkette sehr zurückhaltend sind, aber so sind nun mal die Regeln, nach denen Öko-Test und Stiftung Warentest spielen. Und es ist offensichtlich, dass diese beiden Medien bzw. Labels bei den Verbrauchern eine hohe Glaubwürdigkeit genießen.
Bei einer zu erwartenden Abwertung ist eine gute Vorbereitung das A und O. Ein Statement sollte ebenso vorbereitet vorliegen wie ein Q&A und mögliche Gegenargumente. Diese kann man auch durchaus selbstbewusst vorbringen, wenn die Abwertung auf die mehr oder weniger willkürlichen Testkriterien der Redaktion zurückzuführen ist. Wichtig ist auch ein professionelles Monitoring. Denn nur wenn ich weiß, wo über mich geschrieben wird, kann ich unter Umständen auch aktiv gegensteuern.
Zum Schluss: Welchen typischen Fehler machen Hersteller aus Ihrer Sicht in PR-Fragen am häufigsten?
Christian Wolfram: Ich möchte zwei Fehler nennen: Der erste Fehler ist, nicht alle Zielgruppen zu kennen und zu berücksichtigen. Verbraucher, Medien, Handel, NGOs, Politik: Unsere Welt ist komplexer geworden und mit ihr die Anforderungen an Kommunikation. Jede Zielgruppe hat ihre Besonderheiten, die es bei der Kommunikation zu beachten gilt. Der zweite Fehler ist, dass manche Unternehmen noch immer glauben, Ignorieren sei die richtige Vorgehensweise, weil sie noch nie mit den Medien zusammengearbeitet haben. Unsere Welt ist aber viel transparenter geworden und Verbraucher viel anspruchsvoller, sodass eine solche Haltung heute kaum noch akzeptiert wird. Sie sprechen aus unserer Sicht immer noch zu wenig mit den Medien, weil im Hinterkopf „Only bad news are good news“ steckt. Wir sehen aber in der täglichen Praxis, dass gezieltes Themensetzen über die Medien funktioniert. Dazu muss man die gesellschaftlich relevanten Themen kennen, die Unternehmensantworten darauf geben und die Leuchttürme, die in jedem Unternehmen zu finden sind, stringent kommunizieren. Das hat auch etwas mit KI zu tun: Lieber bestimme ich selbst, was die KI – weil sie Medienquellen nutzt – über mein Unternehmen oder Produkt erzählt, statt dass dieses Bild von meinem Unternehmen von Kritikern bestimmt wird.