Ein Halal, viele Regeln: Der schwierige Weg zu einheitlichen Standards

Halal ist heute mehr als eine religiöse Vorschrift – es ist ein Milliardenmarkt. Doch der Weg dorthin ist komplex und voller Hürden. Im Interview erklärt Halal-Experte Norbert Kahmann, warum Europa gemeinsame Standards braucht und wieso seiner Meinung nach ein „Halal-Alarmsystem“ etabliert werden sollte. Auf dem Außenwirtschaftstag in Berlin am 03. Juni wünscht er sich einen regen Austausch.

Grünes Halal-Schild an einer Fleischtheke im Supermarkt. Im Hintergrund sind Fleischprodukte und dekorative Lichter zu sehen. Das Schild kennzeichnet, dass die angebotenen Produkte halal-zertifiziert sind.

Herr Kahmann, Sie beschäftigen sich seit vielen Jahren mit Halal-Standards. Wie haben sich die Anforderungen in den letzten Jahren verändert und was bedeutet das für die Unternehmen der Lebensmittelindustrie?

Norbert Kahmann: Im Rahmen des 10-Jahres-Plans der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) wurde das SMIIC beauftragt, einen einheitlichen globalen Halal-Standard zu entwickeln. Seitdem hat sich viel verändert – etwa bei der Anerkennung von Halal-Zertifizierungsstellen, bei den Akkreditierungsorganisationen und den verschiedenen Halal-Standards.

Darüber hinaus haben Länder wie Malaysia, Indonesien oder auch das Königreich Saudi-Arabien (KSA), Einzeländerungen vorgenommen. Wenn sie nach Malaysia exportieren möchten, dann muss ihre Produktionsstätte, sprich das gesamte Firmengelände, schweinefrei sein. Für Indonesien muss ihr Zertifizierer ein Büro in ihrem Produktionsland haben, beim KSA könnte er auch im Nachbarland sein. Für Algerien ist nur die Grand Mosquee de Paris zugelassen und in Ägypten soll es ISEG sein. Sie sehen: Es gibt ein Halal, aber viele Abweichungen.

Für die Industrie bedeutet das, dass sie immer am Ball bleiben muss, sowohl B2B als auch B2C. Häufig informiert der Zertifizierer nicht aktuell über Änderungen, beim Audit kommt es dann auf den „Tisch“.

Brauchen wir aus Ihrer Sicht einen einheitlichen Halal-Standard?

Norbert Kahmann: Bei Halal reden wir über das Gleiche mit unterschiedlichen Interpretationen. Halal bedeutet „erlaubt“ oder „zulässig“. Das bezieht sich auf Rohstoffe, Anlagen, Prozesse, Verpackungen, das Produkt an sich, Transport und Marketing. In einem Unternehmen sind alle Bereiche betroffen – vom Einkauf über die Produktion bis zur IT.

Ein einheitlicher Halal-Standard ist schwierig, weil jedes Land andere Regeln hat: Zum Beispiel ist ein Farbstoff wie Karminrot in einem Land erlaubt, im anderen verboten. Auch Alkohol wie Ethanol wird unterschiedlich bewertet. Manche Länder haben eigene Zertifizierungsstellen mit speziellen Vorgaben – wie Gimdes in der Türkei. Andere, wie Indonesien oder Malaysia, verlangen zusätzliche Zulassungen. Zertifizierer müssen daher viele verschiedene Prüfungen durchlaufen, um weltweit anerkannt zu werden. Das ist teuer – und diese Kosten landen schließlich beim Verbraucher.

Was sind aktuell die größten Herausforderungen für exportorientierte Unternehmen im Umgang mit Halal-Zertifizierungen?

Norbert Kahmann: Die größten Herausforderungen sind die internationale Anerkennung ihres Zertifizierers und die Umsetzung der Halal-Anforderungen im Betrieb. Ein Beispiel: Für den indonesischen Halal-Standard (BPJPH) müssen alle verbotenen (haram) Rohstoffe streng getrennt werden – vom Wareneingang über die Lagerung bis hin zur Produktion und dem Warenausgang. Das bedeutet: eigene Eingänge, eigene Lagerflächen und getrennte Produktionslinien.

Unser Wunsch ist, dass Betriebe, die bereits nach hohen Standards wie IFS8 oder FSSC 22000 arbeiten und allergenfreie Prozesse nachweisen können, von solchen strengen Vorgaben ausgenommen werden. Wenn klar ist, dass es keine Vermischung gibt, sollten Ausnahmen erlaubt sein.

Norbert Kahmann, Master Specialist Strategic Kosher/ Halal Officer der Symrise AGQuelle: Norbert Kahmann

Sie haben einen eigenen Arbeitskreis, in dem Sie Halal-Schulungen anbieten. Was hat es damit auf sich?

Norbert Kahmann: Ja, seit über 13 Jahren gibt es bei der IHK Hannover den Arbeitskreis Koscher & Halal mit rund 380 Unternehmen. Unsere wichtigste Aufgabe war und ist es, ein gemeinsames Verständnis zu schaffen – also zu erklären, was Halal bedeutet und welche Anforderungen Betriebe erfüllen müssen. Zwei Mal im Jahr bieten wir Schulungen mit bis zu 50 Teilnehmern an.

Ein großes Problem: Firmen entscheiden sich oft für einen Zertifizierer, der im Zielland nicht anerkannt ist. Die Ware wird dann beim Zoll abgelehnt – entweder muss sie teuer zurückgeholt oder sogar vernichtet werden. Genau das wollen wir mit unseren Schulungen verhindern. Noch sind wir „einzigartig“ in dieser Welt, es gibt keinen zweiten Verband mit einem derartigen Netzwerk.

Wir haben sogar schon den Grundstein für einen europäischen Verband gelegt, mit rund 50 Teilnehmern aus verschiedenen Ländern, die sich monatlich austauschen – ähnlich wie wir es auf deutscher Ebene tun.

Welche Unterstützung wünschen Sie sich von der Politik und den europäischen Institutionen, um einheitlichere Rahmenbedingungen zu schaffen?

Norbert Kahmann: Halal wird oft noch als Nische gesehen und ist noch nicht richtig in der produzierenden Welt angekommen. 2023 lag der globale Umsatz mit halal-zertifizierten Produkten bei etwa 1,6 Billionen Dollar. Bis 2027 werden 2,1 Billionen erwartet. Das entspricht einem enormen Wachstum von 35 Prozent. In den OIC-Ländern (also mehrheitlich muslimischen Ländern) lag der Umsatz nur bei rund 325 Millionen Dollar – der Großteil wird also weltweit erwirtschaftet.

Deshalb brauchen wir starke politische Kontakte – in Deutschland, in Europa (z. B. über den INTA-Ausschuss) und bei Bedarf sogar bei der WTO. Wenn die EU mit muslimischen Ländern wie Indonesien bilaterale Abkommen verhandelt, gehört Halal mit auf die Agenda. Stellen sie sich vor, wir haben ein europäisches Freihandelsabkommen mit Indonesien und Halal verhindert den freien Warenverkehr.

Unsere nationale und internationale Gruppe besteht aus Fachleuten, nicht aus Lobbyisten. Deshalb ist es manchmal schwer, gehört zu werden. Doch wir haben einen guten Draht zum INTA-Ausschuss, dort gab es schon mehrere Treffen – und wir freuen uns auf die weitere Zusammenarbeit

Welche Best Practices sehen Sie im Umgang mit Halal-Behörden und -Märkten?

Norbert Kahmann: Mein größter Wunsch ist ein Dialog auf Augenhöhe. Wir arbeiten eng mit Halal-Zertifizierern zusammen, lernen voneinander und sehen uns als Partner. Unser Ziel ist es, gute Produkt auf den Markt zu bringen, die den Halal-Vorgaben entsprechen.

Dieser Austausch sollte auch mit den Standardgebern stattfinden. Wir haben die Praxiserfahrung, die hilft, realistische Halal-Standards zu entwickeln. Halal ist keine Einbahnstraße. Ein offener Dialog, zum Beispiel über bestehende Kontrollsysteme, kann helfen, weltweit einheitliche Anforderungen besser umzusetzen.

Ein weiteres Problem ist der Informationsfluss. Wenn ein Zertifizierer plötzlich seine Akkreditierung verliert und seine Kunden nicht rechtzeitig informiert, kann das ganze Märkte blockieren. Solche Infos müssen sofort weitergegeben werden. Deshalb fordern wir ein ‚Halal-Alarmsystem‘, das Hersteller und Zertifizierer direkt warnt. Im Moment übernehmen diese Aufgabe Gruppen wie unsere nationale und internationale AG Koscher & Halal.

Was erwarten Sie sich vom Außenwirtschaftstag?

Norbert Kahmann: Ich bin bereits zum fünften Mal beim Außenwirtschaftstag dabei. Man könnte sagen: Steter Tropfen höhlt den Stein. Halal ist noch nicht vollständig in der Industrie angekommen, dabei gibt es allein in Deutschland rund 5 Millionen Verbraucher und 50 Millionen in Europa, die Produkte wollen, die ihren religiösen Vorgaben entsprechen. Das sollten wir ernst nehmen.

Ich wünsche mir mehr Dialog – mit Behörden, internationalen Organisationen und Standardgebern wie SMIIC. Wir wollen als gleichberechtigter Partner gesehen werden, denn die Herausforderungen sind groß und nur gemeinsam zu bewältigen.

Und: Halal ist weit mehr als nur Essen und Trinken. Es betrifft viele Bereiche – von Pharma und Kosmetik über Banken, Reisen, Kleidung bis hin zu Verpackung und Transport. All das wird gerade in Standards gegossen. Wir sind bereit.

Vielen Dank für das Interview!

Hier finden Sie alle Infos und die Anmeldung zum Außenwirtschaftstag 2025 am 3. Juni 2025 in Berlin.