Wenn es um die Zukunft des Industriestandorts Deutschland geht, stehen meist Energiepreise, Bürokratie oder Fachkräftemangel im Mittelpunkt. Seltener geraten jene Unternehmen in den Blick, die den Wandel längst begonnen haben.
Zur Anuga 2025 haben die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE) und das Deutsche Institut für Lebensmitteltechnik (DIL) eine Studie vorgestellt, die diesen Wandel sichtbar macht. „Impulse für den Standort Deutschland“ analysiert, wie die Branche auf neue Marktbedingungen reagiert, Innovation vorantreibt und gleichzeitig Verantwortung übernimmt.
„Unsere Unternehmen haben gelernt, Wandel als Dauerzustand zu begreifen“, heißt es in der Studie. Dabei stehen zwei Themen im Mittelpunkt: die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft und der Einsatz Künstlicher Intelligenz. Beide Ansätze zeigen, wie sich Effizienzsteigerung, Ressourcenschonung und Wettbewerbsfähigkeit miteinander verbinden lassen. Anhand von drei Unternehmen wird deutlich, wie dieser Wandel in der Praxis aussieht: dem Backwarenhersteller KuchenMeister, den Getreidespezialisten von GoodMills Innovation und dem Knorr-Werk des Unilever-Konzerns in Heilbronn.
KuchenMeister: Effizienz trifft Verantwortung
In Thüle, einem Ortsteil von Soest, backt KuchenMeister täglich Hunderttausende Stücke Gebäck, darunter Klassiker wie Donuts und Baumkuchen. Die Traditionsbäckerei hat sich einem ehrgeizigen Ziel verschrieben: Abfälle sollen nicht länger als unvermeidliche Begleiterscheinung der Produktion gelten, sondern als Wertstoffe im Kreislauf geführt werden. Gemeinsam mit der Knepper WerPro GmbH & Co. KG entwickelte das Unternehmen das Projekt „Optimizing Material Flows“.
Durch eine detaillierte Analyse der Produktionsausschüsse und präzise Trennmethoden konnte die Recyclingquote signifikant gesteigert werden. Kunststoffabfälle, die zuvor verbrannt wurden, werden heute stofflich verwertet. Jährlich werden nun 202 Tonnen Kunststoff recycelt. Das ist ein deutlicher Fortschritt gegenüber der Zeit vor Einführung des Projekts, als noch 371 Tonnen gemischter Abfall anfielen.
„Diese Maßnahmen führen zu einer deutlichen Entlastung der Umwelt und einer Erhöhung der Wirtschaftlichkeit am Standort“, erklärt Oliver Baltruschat, Werksleiter in Thüle. Das Beispiel zeigt, dass ökologisches Handeln und betriebliche Effizienz kein Widerspruch sind, sondern sich gegenseitig stärken.
KuchenMeister dokumentiert die erzielten CO₂-Einsparungen in einem eigenen Nachhaltigkeitsbericht und arbeitet bereits daran, das Konzept auf weitere Standorte zu übertragen. Künftig sollen sogar KI-gesteuerte, fahrerlose Transportsysteme die Wertstofflogistik übernehmen. „Eine verantwortungsvolle Unternehmensführung ist kein Hindernis für den Erfolg, sie ist der Weg dorthin“, sagt Baltruschat.
GoodMills: Innovation aus Reststoffen
Auch bei GoodMills Innovation, einem Tochterunternehmen der GoodMills Group, steht der Gedanke der Kreislaufwirtschaft im Zentrum. Unter dem Namen High-MAC Kleien hat das Unternehmen eine Antwort auf eine Frage gefunden, was mit den Bestandteilen geschieht, die beim Mahlen von Mehl übrigbleiben.
Das Verfahren verwandelt ungenutzte Bestandteile des Korns, die im klassischen Mühlenprozess als Nachmehl abfallen, in eine neue, funktionelle Zutat. Durch Mikronisierung und thermische Stabilisierung entsteht eine fein verarbeitbare Kleie, die sich als Ballaststoffanreicherung in Brot, Brötchen und Keksen einsetzen lässt.
Über 90 Prozent der Partikel sind kleiner als 200 Mikrometer. Das sorgt für eine gleichmäßige Verteilung im Teig, ohne die Textur oder Geschmack zu verändern. Backwaren bleiben hell, geschmacklich unverändert und werden gleichzeitig ernährungsphysiologisch aufgewertet.
„Mit den High-MAC Kleien gelingt es, einen bislang wenig genutzten Rohstoffstrom in die menschliche Ernährung zurückzuführen – technologisch optimiert, ernährungsphysiologisch wertvoll und ohne sensorische Abstriche“, heißt es aus dem Unternehmen.
Neben der Ressourcenschonung erfüllt das Produkt alle Clean-Label-Anforderungen, ganz ohne Zusätze. So schließt GoodMills den Kreis zwischen Ressourcenschonung und wirtschaftlicher Wertschöpfung und zeigt, dass Nachhaltigkeit auch ein Innovationsmotor sein kann.
Knorr in Heilbronn: Wandel aus eigener Kraft
Dass Nachhaltigkeit auch soziale und kulturelle Veränderung braucht, demonstriert das Knorr-Werk in Heilbronn. Seit 1838 wird dort produziert. Heute ist es das größte Unilever-Werk für Trockensuppen und Saucen in Europa. Doch 2019 stand der Standort vor einer existenziellen Entscheidung: 20 Prozent weniger Kosten bei gleichbleibender Produktionsmenge oder keine Zukunft.
„Wir mussten die Komfortzone verlassen. Wer bleiben wollte, musste sich verändern“, sagt Julius Mannherz, der den Wandel als Werksleiter begleitete.
Anstatt zu kürzen, wurde transformiert. Betriebsrat, Werksleitung und Belegschaft entwickelten gemeinsam ein neues Produktions- und Kulturmodell. Linien wurden automatisiert, Aufgaben neu verteilt, Führungsstrukturen verschlankt. Mitarbeitende verzichteten sogar auf volle Tariferhöhungen, um Investitionen und Zukunftssicherung zu ermöglichen. Das Ergebnis: höhere Effizienz, mehr Eigenverantwortung und ein neu gewonnenes Vertrauen in die eigene Stärke.
Auch energetisch wurde neu gedacht. Zwei Photovoltaikanlagen mit über 4.700 Modulen erzeugen fast zwei Millionen Kilowattstunden Strom pro Jahr. Das ist genug, um einen erheblichen Teil des Energiebedarfs des Werks zu decken. Damit sinken Kosten und Emissionen gleichermaßen. Ziel ist es, die Treibhausgasemissionen bis 2030 vollständig zu vermeiden.
„Veränderung braucht Führung, aber auch Vertrauen in die Menschen. Als Unternehmen können wir mehr bewegen, als wir oft denken“, so Mannherz.
Das Werk ist heute offener, vernetzter, vielfältiger. Die Kantine steht auch der Nachbarschaft offen, Start-ups nutzen freie Flächen auf dem Gelände. Der Standort ist Teil der Stadtgesellschaft geworden.
Verantwortung als Standortstrategie
Die drei Beispiele zeigen, dass Wandel aus eigener Kraft möglich ist. Er wird getragen von Unternehmen, die gelernt haben, dass Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit keine Gegensätze sind. Laut Studie investieren inzwischen über zwei Drittel der Betriebe in Energieeffizienz und Ressourcenschonung, mehr als die Hälfte nutzt digitale Anwendungen zur Prozesssteuerung.
Doch die Rahmenbedingungen bleiben schwierig und bremsen den Fortschritt. Damit Unternehmen Innovationen umsetzen können, braucht es Planungssicherheit, verlässliche Rahmenbedingungen und eine Politik, die den Standort stärkt. Trotz aller Herausforderungen bleibt die Botschaft optimistisch. Die Ernährungsindustrie zeigt, dass Veränderungen Teil ihrer wirtschaftlichen Realität sind und dass Zukunft dort entsteht, wo Unternehmen sie aktiv gestalten.