OVID feiert in diesem Jahr sein 125-jähriges Bestehen. Worauf ist der Verband besonders stolz, wenn Sie auf diese lange Geschichte zurückblicken?
Dr. Momme Matthiesen: In den vergangenen 125 Jahren ist es den deutschen Ölmühlen gelungen, die kontinuierliche Versorgung von Bevölkerung und Wirtschaft mit hochwertigen Produkten sicherzustellen – eine Leistung von zentraler Bedeutung für unser Land. Die Erzeugnisse der ölsaatenverarbeitenden Industrie stecken in rund 80 Prozent aller Produkte des täglichen Bedarfs – von Lebensmitteln bis zu Industrieerzeugnissen. Unsere Branche prägt also den Alltag der Menschen und die wirtschaftliche Stabilität weit über ihren Ursprung hinaus.
Was waren die ursprünglichen Anliegen der Ölmühlen, die sich damals zusammengeschlossen haben?
Dr. Momme Matthiesen: Zentrales Gründungsmotiv war der Wunsch, in handelspolitischen Fragen mit einer gemeinsamen Stimme aufzutreten. Die Ölmühlen waren eng mit der heimischen Landwirtschaft vernetzt und wollten ihre Produkte vor zollpolitischen Nachteilen schützen. Gleichzeitig war die Branche stark auf Rohstoffe aus dem Ausland angewiesen – damals sogar noch stärker als heute. Um die Versorgung sicherzustellen, war der freie Handel ebenso essentiell wie ein funktionierender Binnenmarkt. Diese Grundprinzipien gelten im Kern bis heute.
Welche Rolle spielt der internationale Handel heute für Ihre Mitgliedsunternehmen?
Dr. Momme Matthiesen: Das Thema Zölle war zur Gründungszeit des Verbandes von zentraler Bedeutung – und ist es heute wieder. Unsere Mitgliedsunternehmen sind eng in den globalen Handel eingebunden und ein wichtiger Bestandteil internationaler Wertschöpfungsketten. Deshalb beobachten wir den aktuellen Zollstreit mit großer Sorge. Eine Eskalation würde nicht nur unsere Branche, sondern ganze Wirtschaftszweige in Europa treffen. Der freie und faire Warenverkehr bleibt für uns ein zentraler Eckpfeiler.
Wie kann sich die geopolitische Lage konkret auf Ihre Lieferketten auswirken?
Dr. Momme Matthiesen: Die Lieferketten im Agrarbereich sind heute global aufgestellt – das macht sie leistungsfähig, aber auch anfällig. Politische Krisen, Kriege oder Handelsbeschränkungen wirken sich unmittelbar auf Verfügbarkeit, Preise und Transportwege aus. Besonders spürbar ist das, wenn große Agrarproduzenten wie die Ukraine betroffen sind. In solchen Fällen gerät nicht nur die Versorgung unter Druck, sondern auch die Planungssicherheit für die Unternehmen.
Wie abhängig ist die Branche von Importen und welche Rolle spielen heimische Ölsaaten?
Dr. Momme Matthiesen: Heimische Ölsaaten wie Raps spielen nach wie vor eine wichtige Rolle – sie sind ein zentraler Rohstoff für unsere Ölmühlen. Gleichzeitig reicht der heimische Anbau allein nicht aus, um den Bedarf zu decken. Deshalb sind Importe auch heute unverzichtbar. Es ist dieses Zusammenspiel aus regionaler Erzeugung und globaler Beschaffung, das unsere Versorgung sichert – daran hat sich seit 1900 im Grunde nichts geändert.
OVID forciert eine Ölpflanzen-Strategie. Was genau ist darunter zu verstehen – und warum ist jetzt der richtige Zeitpunkt dafür?
Dr. Gerhard Brankatschk: Die Ölpflanzen-Strategie zielt darauf ab, den heimischen Anbau von Ölpflanzen wie Raps, Sonnenblumen oder Soja deutlich zu stärken – als Ergänzung zu den notwendigen Importen. Gerade in Zeiten globaler Handelsunsicherheiten wird Versorgungssicherheit zum strategischen Thema. Mehr regionale Rohstoffe bedeuten nicht nur mehr Unabhängigkeit und Wertschöpfung vor Ort, sondern auch eine höhere Resilienz der Lieferketten – ein entscheidender Vorteil in geopolitisch unsicheren Zeiten.
Welche übergeordneten Ziele verfolgt der Verband mit dieser Strategie – national, europäisch und global gedacht?
Dr. Gerhard Brankatschk: National geht es um den Ausbau nachhaltiger Anbausysteme, international um den freien Agrarhandel und Rechtssicherheit für Unternehmen. Wir fordern weniger Bürokratie, den Abbau von Handelshemmnissen und ein modernes Gentechnikrecht, damit innovative Sorten schneller verfügbar sind. Nur auf diesem Weg können wir Erträge sichern, die Landwirtschaft klimaresilienter machen und gleichzeitig die Biodiversität fördern. Zugleich lässt sich so der Flächenbedarf angesichts des weltweiten Bevölkerungswachstums begrenzen.
Was erwarten Sie von der Politik – auf Bundes- und EU-Ebene – um den Ölpflanzenanbau strategisch zu fördern?
Dr. Gerhard Brankatschk: Wir brauchen klare agrarpolitische Signale für eine nachhaltige und wirtschaftlich tragfähige Ölpflanzenproduktion. Dazu gehören passende Anreize in der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP), mehr Flächen für Leguminosen, aber auch ein Bekenntnis zu Biokraftstoffen als Brückentechnologie. In zehn Jahren sollten wir einen Proteinselbstversorgungsgrad von 50 % erreichen und beim Sojaanbau bundesweit deutlich über 100.000 Hektar liegen.
Stichwort EU-Lieferkettengesetz: Bürokratiemonster oder Chance für mehr Transparenz?
Dr. Momme Matthiesen: Wir stehen als Branche zu unserer Verantwortung – sowohl in ökologischer als auch in menschenrechtlicher Hinsicht. Transparenz und Sorgfalt entlang der Lieferketten sind wichtig. Doch Regulierung muss praxistauglich bleiben. Beim EU-Lieferkettengesetz sehen wir noch deutlichen Verbesserungsbedarf: Es braucht mehr Harmonisierung und weniger Doppelbelastung. Es darf nicht sein, dass Unternehmen gleiche Nachweise mehrfach führen müssen, nur weil sich nationale und europäische Vorschriften überschneiden.
Die Ernährungsindustrie und Ölmühlen im speziellen sind sehr energieintensiv. Welche Maßnahmen fordert OVID, um die Produktion am Standort Deutschland zu sichern?
Dr. Gerhard Brankatschk: Energie ist der zentrale Kostenfaktor für unsere Branche – und damit ein entscheidender Standortfaktor. Kurzfristig brauchen wir gezielte Entlastungen bei Strom- und Gaskosten sowie eine faire Neuordnung der Netzentgelte. Wichtig ist auch ein wirksamer Carbon-Leakage-Schutz, der bislang beim Übergang in den EU-Emissionshandel fehlt. Mittelfristig geht es um stabile Rahmenbedingungen für Investitionen in klimaschonende Prozesse – die Branche ist bereit, diesen Wandel aktiv mitzugestalten.
Wie steht OVID zur Nutzung erneuerbarer Energiequellen in der ölsaatenverarbeitenden Industrie?
Dr. Gerhard Brankatschk: Grundsätzlich offen – wenn die Rahmenbedingungen passen. Derzeit verhindern etwa hohe Netzentgelte die wirtschaftliche Nutzung von günstiger erneuerbarer Energie. Auch wenn an der Börse mittags Sonnenstrom und in stürmischen Zeiten Windstrom fast kostenlos verfügbar ist, kommt er bei den Betrieben kaum an. Hier braucht es dringend Anpassungen, um den überschüssigen Grünstrom nicht zu verwerfen, sondern in den rund um die Uhr arbeitenden Betrieben unmittelbar zu nutzen.
Welche Rolle spielen neue Züchtungstechnologien wie CRISPR oder Genome Editing bei der Entwicklung von Ölsaaten, die besser an klimatische Veränderungen oder spezifische Anforderungen der Lebensmittelproduktion angepasst sind?
Dr. Momme Matthiesen: Eine Zentrale. Schädlinge, Krankheiten und Klimastress setzen Kulturen wie Raps oder Sonnenblumen zunehmend unter Druck. Neue Züchtungstechnologien ermöglichen gezielte Resistenzzüchtung und klimafitte Sorten – schneller und präziser als klassische Methoden. Sie sind entscheidend, um Erträge zu sichern, Lieferketten stabil zu halten und gleichzeitig unsere höchsten Anforderungen an die Lebensmittelqualität zu erfüllen.
Wie bewertet OVID die aktuellen regulatorischen Rahmenbedingungen in Bezug auf neue Züchtungstechniken?
Dr. Momme Matthiesen: Der derzeitige EU-Rechtsrahmen ist überholt. Genome Editing wird faktisch wie klassische Gentechnik behandelt – das bremst Innovationen und schwächt den Standort Europa. OVID fordert gemeinsam in einem breiten Verbändebündnis eine wissenschaftsbasierte, technologieoffene Regulierung mit klaren und praxistauglichen Kriterien. Nur so bleibt Europa wettbewerbsfähig in der Pflanzenforschung und -verarbeitung.
Wie geht OVID mit der Herausforderung um, dass die öffentliche Meinung und Akzeptanz hinsichtlich gentechnisch veränderter Pflanzen eher zurückhaltend ist?
Dr. Momme Matthiesen: Mit Aufklärung und Dialog. Wir setzen auf eine sachliche, differenzierte Kommunikation und machen transparent, was moderne Verfahren wie CRISPR leisten können – etwa bei Umwelt- oder Klimaschutz. Viele Verbraucher zeigen sich offen, wenn der Nutzen nachvollziehbar ist. Vertrauen entsteht durch Information, nicht durch Verbote.
Wohin steuert die ölsaatenverarbeitende Industrie in den kommenden Jahrzehnten – und welche Rolle will OVID in diesem Wandel aktiv einnehmen?
Dr. Gerhard Brankatschk: Die ölsaatenverarbeitende Industrie steht vor der Aufgabe, Ernährungssicherheit zu gewährleisten und zugleich aktiv zur klimafreundlichen Transformation beizutragen. OVID begleitet diesen Wandel als Impulsgeber und Gestalter.
Im Fokus stehen hochwertige Produkte entlang der gesamten Wertschöpfungskette – von pflanzlichen Speiseölen und Eiweißfuttermitteln bis hin zu biobasierten Grundstoffen für Industrie und Energie. Unsere Branche ist Teil der Bioökonomie, die wir gemeinsam mit Politik, Wissenschaft und Gesellschaft weiter vorantreiben.
Nachhaltigkeit und Energieeffizienz sind zentrale Maßstäbe für neue Technologien, Investitionen und Prozesse. Die Branche setzt auf klimafreundliche Standorte, nutzt Nebenprodukte effizient und fördert eine kreislauforientierte Wertschöpfung.
Vielen Dank für das Interview!