Neue Gentechnik im Blick: Zwischen Potenzial und Regulierung

Ob als Chips, Pommes oder Püree – die Deutschen lieben Kartoffeln in vielen Formen. Doch ihr Anbau ist anfällig. Neue Züchtungsverfahren wie CRISPR stellen nicht nur Lösungen in Aussicht – sie fordern auch ein Gentechnikrecht heraus, das Innovation bislang ausbremst.

Ernteausfall mit Kartoffeln, die von Fäule befallen sindQuelle: olyapon

Hinter dem beliebten Grundnahrungsmittel Kartoffel steckt ein empfindliches Anbausystem. Besonders bedrohlich ist die Kraut- und Knollenfäule, verursacht durch den aggressiven Pilzerreger „Phytophthora infestans“. Jahr für Jahr führt die Krankheit zu erheblichen Ernteausfällen – weltweit entstehen dadurch Schäden in Milliardenhöhe. Besonders tückisch: Der Erreger verbreitet sich schnell und ist selbst im ökologischen Landbau kaum ohne den regelmäßigen Einsatz von Fungiziden beherrschbar.

Die Bedrohung ist keineswegs neu. Schon im 19. Jahrhundert vernichtete die Krankheit in Irland ganze Ernten und trug maßgeblich zur Großen Hungersnot bei. Pflanzenkrankheiten wie die Kraut- und Knollenfäule oder Extremwetterereignisse stellen eine wachsende Gefahr für die Ernährungssicherheit dar – und machen deutlich, wie dringend innovative, nachhaltige Lösungen gebraucht werden.

Innovation im Labor: Neue Züchtungsverfahren machen Hoffnung

Forschende der Universität Wageningen in den Niederlanden haben mithilfe moderner Züchtungstechnologien Kartoffelsorten entwickelt, die dauerhaft resistent gegen den Pilzerreger sind. Grundlage ist die sogenannte Genom-Editierung – ein Verfahren, das präzise genetische Veränderungen ermöglicht. Auch in Schweden arbeitet ein Forschungsteam mit dem molekularen Werkzeug CRISPR/Cas daran, bei der Sorte „Desiree“ gezielt krankheitsanfällige Genabschnitte auszuschalten.

Beide Ansätze zeigen, welches Potenzial in neuen genomischen Techniken (NGT) steckt. Sie ermöglichen es, gezielt Eigenschaften wie Krankheitsresistenz, Klimaresilienz oder Ressourcensparsamkeit in Pflanzen zu verankern – ohne dabei Artgrenzen zu überschreiten oder fremdes Erbgut einzubringen. Für die Landwirtschaft bedeutet das: weniger Pflanzenschutzmittel, höhere Erträge und stabilere Ernten.

Doch die Auswirkungen reichen weit über den Acker hinaus. Auch die Lebensmittelindustrie würde erheblich profitieren – etwa durch planbarere Beschaffung, geringere Ausfallrisiken und mehr Rohstoffsicherheit.

„Neue genomische Techniken können zu einer besseren Verfügbarkeit klimaresilienter, krankheitsresistenter oder ressourcenschonender Pflanzenrohstoffe führen“, sagt Meike Schwamborn, stellvertretende Leiterin der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE). „Ziel ist es, die Risiken in der landwirtschaftlichen Produktion zu reduzieren, Lieferketten zu stabilisieren und die Verfügbarkeit von Rohstoffen zu erhöhen.“

Neue Gentechnik, alte Regeln: Warum das EU-Recht Innovation ausbremst

Trotz wissenschaftlicher Fortschritte sind NGT-Pflanzen in der Europäischen Union derzeit stark reguliert. Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 2018 sieht auch präzise editierte Pflanzen – selbst wenn kein fremdes Erbmaterial eingeführt wurde – als gentechnisch verändert an. Damit gelten dieselben strengen Auflagen wie für klassische GVO. Diese Einstufung erschwert den praktischen Einsatz erheblich, da hohe Zulassungskosten, lange Genehmigungsverfahren und komplexe Kennzeichnungspflichten hinzukommen.

Die rechtlichen Hürden blockieren nicht nur die Einführung vielversprechender Sorten wie der pilzresistenten Kartoffeln aus Wageningen oder der CRISPR-optimierten „Desiree“ aus Schweden, sondern bremsen auch die Innovationskraft der europäischen Agrar- und Lebensmittelwirtschaft. In Fachkreisen wird die gegenwärtige Regelung deshalb zunehmend als nicht mehr zeitgemäß kritisiert.

Vertrauen durch Transparenz: Der Schlüssel zur Verbraucher-Akzeptanz

Gleichzeitig wächst die gesellschaftliche Offenheit gegenüber neuen Züchtungstechniken. Laut Eurobarometer 2022 stufen nur acht Prozent der Befragten den Einsatz von Genom-Editierung in der Lebensmittelerzeugung als problematisch ein – deutlich weniger als bei der klassischen Gentechnik, die von 26 Prozent kritisch gesehen wird. Eine repräsentative Branchenumfrage belegt: Die Akzeptanz steigt insbesondere dann, wenn Verbraucher einen konkreten Nutzen erkennen – etwa klimaangepasste Pflanzen, weniger Pflanzenschutzmittel oder geringeren Ressourcenverbrauch.

Dennoch besteht viel Aufklärungsbedarf. Im öffentlichen Diskurs werden moderne Verfahren wie CRISPR/Cas häufig mit älteren Gentechnikmethoden gleichgesetzt – obwohl sie technologisch und sicherheitstechnisch differenzierter zu bewerten sind. Ebenso wenig bekannt ist, dass auch konventionelle Züchtungsmethoden – etwa durch chemische oder radioaktive Mutagenese – gezielt genetische Veränderungen hervorrufen, ohne als „Gentechnik“ zu gelten oder kennzeichnungspflichtig zu sein.

„Diese unterschiedlichen Standards tragen zur Verunsicherung bei und erschweren es Verbrauchern, sich ein klares Bild zu machen“, gibt Schwamborn zu bedenken. „Ziel muss daher eine ausgewogene Kommunikation sein, die moderne Züchtungsmethoden transparent, verständlich und im Vergleich zu herkömmlichen Verfahren einordnet.“

Die BVE spricht sich deshalb für eine faktenbasierte, sachliche Aufklärung aus, die ökologische Vorteile wie Umweltentlastung, Klimaschutz oder verbesserte Produktsicherheit verständlich macht. „Es geht nicht nur um eine gesetzlich vorgeschriebene Kennzeichnung“, betont Schwamborn, „sondern auch um eine proaktive, verständliche Kommunikation über Kanäle, die Verbraucher tatsächlich erreichen – etwa über Verpackungen, Websites oder Social Media.“

Reform des Gentechnikrechts: Die EU im Trilog

International haben viele Länder längst auf den wissenschaftlichen Fortschritt reagiert. Kanada, die USA, Großbritannien, Brasilien, Chile oder Israel stellen genomeditierte Pflanzen weitgehend mit konventionellen Sorten gleich – sofern keine Fremd-DNA eingefügt wurde. Auch Australien, Japan, Indien und Kenia haben ihre Regelungen entsprechend angepasst.

In Europa hingegen gelten weiterhin strikte Vorschriften. „Wenn wichtige Märkte wie Kanada, USA oder Großbritannien NGT-Produkte liberaler regulieren, während in der EU strikte Regeln gelten, geraten europäische Unternehmen ins Hintertreffen“, warnt Schwamborn.

Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, hat die EU-Kommission im Juli 2023 einen Reformvorschlag für das EU-Gentechnikrecht vorgelegt. Zentrales Element ist die Einführung einer neuen Kategorie: sogenannte „NGT-1-Pflanzen“. Diese sollen Pflanzen umfassen, deren genetische Veränderungen auch durch klassische Züchtung erreichbar wären – ohne artfremde Gene. Für diese Kategorie ist ein vereinfachtes Zulassungsverfahren vorgesehen, zudem sollen sie nicht unter die GVO-Kennzeichnungspflicht fallen.

Seit Frühjahr 2025 läuft der gesetzgeberische Trilog zwischen EU-Kommission, Parlament und Rat. Die Debatte bleibt kontrovers – insbesondere bei Fragen zur Kennzeichnungspflicht, zur Patentierung neuer Sorten und zur wissenschaftlichen Risikobewertung. Dabei steht die Balance zwischen Innovationsförderung und Verbraucherschutz im Fokus.

Für die deutsche Lebensmittelwirtschaft ist ein verlässlicher und sachgerechter Rechtsrahmen entscheidend: „Uneinheitliche Regeln führen zu Marktverwerfungen und Wettbewerbsnachteilen“, warnt Schwamborn. „Unternehmen könnten gezwungen sein, ihre Produkte oder Beschaffungsketten unterschiedlich auszurichten – mit hohen Zusatzkosten, Unsicherheit bei der Rohstoffverfügbarkeit und erhöhtem Kontrollaufwand. Einheitliche und praxistaugliche Regeln sind daher für die Lebensmittelsicherheit, Planbarkeit und internationale Wettbewerbsfähigkeit essenziell.“

Regulierung neu denken – Innovation und Versorgung stärken

Dürre, Pflanzenkrankheiten und extreme Wetterereignisse stellen die Landwirtschaft heute schon vor große Herausforderungen. Zugleich steigen die Anforderungen an Nachhaltigkeit, Ressourceneffizienz und Versorgungssicherheit in der Lebensmittelproduktion. Neue genomische Techniken wie CRISPR/Cas können helfen, diesen Herausforderungen zu begegnen – vorausgesetzt, der Rechtsrahmen erlaubt eine sachgerechte Nutzung.

Lebensmittelhersteller sollten die regulatorischen Entwicklungen aufmerksam verfolgen. Die BVE setzt sich dabei für eine wissenschaftlich fundierte Regulierung ein, die Innovation ermöglicht und zugleich Sicherheit und Transparenz gewährleistet. „Ein modernes Gentechnikrecht, das zwischen verschiedenen Verfahren differenziert, könnte die Innovationskraft europäischer Hersteller stärken – und gleichzeitig hohe Sicherheits- und Transparenzstandards leisten“, fasst Schwamborn zusammen.

Weiterführende Infos:

Hier finden Sie das Positionspapier von Verbänden der Agrar-, Gartenbau- und Ernährungswirtschaft zu der künftigen Regulierung der neuen genomischen Techniken in der Landwirtschaft